Welche Rechte hat ein Fluss, Baum oder Berg?

Immer mehr „Objekte der Natur“ werden als eigenständige Rechtspersonen anerkannt

Aus Sicht des Rechts ist der Energiekonzern RWE eine Person mit bestimmten Rechten und das Klima oder der Rhein sind es nicht. Doch nun gibt es Bemühungen auch Rechte der Natur zu kodifizieren und der Natur die Möglichkeit zu geben, in eigenem Namen auf deren Einhaltung zu klagen.

Familie Backsen klagt gegen die Bundesregierung. Letztere tue nicht genug, um das deutsche Klimaziel für das Jahr 2020 noch zu erreichen. Das gefährde die Lebensgrundlage der Backsens, einen Biobauernhof auf der Nordseeinsel Pellworm. „Der ansteigende Meeresspiegel macht mir große Sorgen, denn die Deiche können irgendwann nicht mehr erhöht werden“, erklärt Silke Backsen. [1] Ähnliche Klagen gibt es mittlerweile viele: Kinder klagen gegen die USA, Seniorinnen gegen die Schweizer Regierung und ein peruanischer Bergbauer gegen den Energiekonzern RWE. [2] Doch warum klagt das Klima eigentlich nicht selbst? Der Grund ist simpel: Im Gegensatz zu RWE, Deutschland oder den Backsens ist das Klima keine Rechtsperson und hat folglich keine Rechte.

Direkt betroffen. Silke Backsen erklärt wie sich der Klimawandel auf ihren Hof auswirkt. (Video: Greenpeace)

 

Aber das muss nicht so bleiben. Mittlerweile gibt es einige Flüsse und Wälder, die eine eigene Rechtsperson haben. Vorreiter war ein 7000-Seelen-Dorf im US-Bundesstaat Pennsylvania. Dort brachten Bauern übelriechenden und giftigen Klärschlamm auf ihren Feldern aus. Daraufhin wurden die „Rechte der Natur“ in der Gemeindeordnung verankert und das Ausbringen von Klärschlamm als Verletzung dieser Rechte verboten. Zehn Jahre später zog dann Neuseeland nach. Dort sind nun ein Wald, ein Fluss und ein Berg ihre eigene Rechtsperson. Dies hat drei Konsequenzen: Der Wald, der Fluss und der Berg können vor Gericht als Kläger auftreten. Ausserdem können sie Verträge abschliessen und schliesslich haben sie das Recht, Eigentum zu besitzen. [3] Damit besitzen sie sich selbst und gehören nicht länger dem neuseeländischen Staat.

Natur mir Rechten

JahrRechtspersonLandAnerkannt durch
2006Das Ökosystem der Gemeinde Tamaqua in PennsylvaniaUSAGemeindeordnung von Tamaqua
2008Die NaturEcuadorVerfassung von Ecuador
2010Mutter ErdeBolivienGesetz über "Die Rechte der Mutter Erde"
2014Der Te Urewera WaldNeuseelandDas "Te Urewera Gesetz"
2016Der Atrato FlussKolumbienUrteil des Verfassungsgerichts von Kolumbien
2017Der Whanganui FlussNeuseelandDas "Te Awa Tupua Gesetz"
2017Der Taranaki VulkanNeuseelandVertrag zwischen Neuseeland und dem Maori-Stamm der Taranaki Iwi
Langsam. Die Vorschläge von Christopher Stone finden nur langsam Eingang in die Rechtsordnung.

 

Die Gesetze, die dies ermöglichen, stützen sich auf das Rechtsverständnis der Ureinwohner Neuseelands, der Maori. Mit Bezug auf den Whanganui Fluss schreibt Erin O’Donnell im Wissenschaftsmagazin Ecology and Society: Die Regelung „entspricht der Weltsicht der Whanganui Iwi in Form eines Gesetzes. Sie erkennt den Fluss als lebendes Ganzes an, das vom Berg bis zum Meer reicht.“ [3] Das Gesetz berücksichtigt auch die spirituelle Bedeutung, die der Fluss für den lokalen Maori-Stamm hat. Die Whanganui Iwi fühlen sich als eins mit dem Fluss: „Ich bin der Fluss und der Fluss ist Ich“ (Ko au te awa, ko te awa ko au).

Subjekt. Der Whanganui gehört sich jetzt selbst. (Foto: Alex Indigo / Flickr)
Subjekt. Der Whanganui gehört sich jetzt selbst. (Foto: Alex Indigo / Flickr)

Vertreten wird der Fluss von zwei Sprechern: Der eine wird von Neuseelands Regierung ernannt und der andere von den Whanganui Iwi. Die Sprecher sind dazu verpflichtet im Interesse des Wohlergehens des Flusses zu handeln. Dabei werden sie von einem Rat unterstützt in dem alle anderen Interessengruppen vertreten sind: vom Fremdenverkehrsverein über Umweltorganisationen bis zur Firma Genesis Energy, die über 80 Prozent des Flusswassers in ihrem Wasserkraftwerk nutzt. Um die Handlunsgfähigkeit des Flusses sicherzustellen, hat dieser zudem Geld von Neuseeland erhalten. Der Fluss begann seine neue Existenz als eigenständige Rechtsperson mit einem Fonds in Höhe von 30 Millionen neuseeländischen Dollar (knapp 18 Millionen Euro).

Damit hat Neuseeland eine Forderung des Rechtsprofessors Christopher Stone umgesetzt. Dieser schrieb im Jahr 1972 in einem Artikel mit dem Titel „Should Trees Have Standing?“ (Sollten Bäume die Klagebefugnis haben?): „Ich schlage vor, dass wir Wäldern, Meeren, Flüssen und anderen ‚Objekten der Natur‘, ja der ganzen natürlichen Umwelt, formelle Rechte gewähren.“ [4 s. S. 456] Anlass für Stones Vorschlag war ein Prozess vor dem obersten US-Gericht. Dieses sollte entscheiden, ob die Umweltorganisation Sierra Club die Befugnis hat, gegen den Bau eines Skigebiets auf Land im Bundesbesitz zu klagen. Der Oberste Gerichtshof verneinte dies mit der Begründung, die Interessen des Sierra Clubs würden durch das Skigebiet nicht beeinträchtigt. Doch ein Richter widersetzte sich dem Konsens seiner Kollegen und ging weit über die Forderung des Sierra Clubs hinaus. William Douglas schrieb in einem Minderheitsvotum: „Objekte der Umwelt sollten die Befugnis haben, für ihren eigenen Erhalt zu klagen.“ [5]

Dieses Ziel verfolgt in der EU die britische Umweltorganisation Nature’s Rights. Diese bereitet derzeit eine EU-Richtlinie vor. In deren Entwurf steht nicht nur, dass die Natur als Rechtsperson anerkannt wird sondern auch, dass die Natur „fundamentale Rechte hat, die aus ihrer inhärenten Würde als Quelle des Lebens herrühren“. [6 s. Art. 4.1] Die Natur ist damit nicht länger ein Objekt, dessen Wert sich einzig an seiner Nützlichkeit für den Menschen bemisst, sondern ein Subjekt mit einem Eigenwert. Der Natur wird folglich das „Recht auf Leben“ zugesprochen sowie das “Recht, die Integrität der natürlichen Kreisläufe zu bewahren“. [6 s. Art. 4.2 a) und b)] Werden diese Rechte verletzt sollen Regierungen, Umweltorganisationen aber auch jeder einzelne EU-Bürger die Möglichkeit erhalten, im Namen der Natur zu klagen.

Sollte dieser oder ein ähnlicher Vorschlag zu EU-Recht werden, müssten die Backsens nicht länger einen komplizierten, rechtlichen Umweg nehmen. Sie müssten nicht mehr nachweisen, dass ihnen persönlich ein Schaden durch die nachlässige Klimapolitik der Bundesregierung droht und sie daher klagebefugt sind. Das Klima könnte vielmehr direkt gegen die Bundesregierung klagen mit den Backsens als Sprecher. Dann ginge es auch nicht länger um einen Bauernhof auf Pellworm sondern um den Kohlenstoffkreislauf der Erde: Indem die Bundesregierung zulässt, dass sich immer mehr CO2 in der Atmosphäre ansammelt, verletzt sie schliesslich das Recht der Natur, ihre „Integrität zu bewahren“. Letztlich würde ein derartiges Rechtsverständnis wohl das Verhältnis zwischen Mensch und Natur grundsätzlich verändern, vermutet Stone: „Wir könnten zu dem Punkt gelangen, wo wir die Erde als einen Organismus betrachten, von dem die Menschheit ein Teil ist – verschieden vom Rest der Natur, aber nur so verschieden wie das Gehirn eines Menschen von seiner Lunge.“ [4 s. S. 499] mic

Hinweis: Es lohnt sich den Artikel von Christopher Stone komplett zu lesen. Dabei sieht man wie wenig sich die Diskussion seit 1972 weiterentwickelt hat. Ausserdem macht die Lektüre Spass, da Stone sehr schlüssig argumentiert  und witzig schreibt.

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[1] Greenpeace, Oktober 2018: Letzte Instanz für den Klimaschutz: Klimakläger im Profil (PDF)

[2] Greenpeace, Oktober 2018: Lertzte Instanz für den Klimaschutz: Klimaklagen weltweit (PDF)

[3] Erin O’Donnell, Julia Talbot-Jones, 2018: Creating legal rights for rivers: lessons from Australia, New Zealand, and India

[4] Christopher Stone, 1972: Should Trees Have Standing? Toward Legal Rights for Natural Objects (PDF)

[5] US Supreme Court as cited in Wikipedia, Stand 10.11.2018: Sierra Club v. Morton

[6] Nature’s Rights, Stand 10.11.2018: Draft Directive on securing the rights of Nature (PDF)