Finanzmärkte unterschätzen Klimarisiken systematisch

Kosten der Erwärmung drohen Schätzungen von Ökonomen weit zu übertreffen

Die meisten Finanzmarktakteure benutzen offensichtlich unsinnige Modelle zur Abschätzung der wirtschaftlichen Folgen der Klimaerwärmung. Wenn die Märkte sich dessen gewahr werden, könnte es zu einer plötzlichen Kurskorrektur kommen – einem Börsencrash

Im Jahr 2018 erhielt der US-Ökonom William Nordhaus den Wirtschaftsnobelpreis. Diesen hatte er sich in den Augen des Preiskomitees verdient, weil „er Modelle konstruiert hat, die erklären, wie die Marktwirtschaft mit der Natur interagiert“. [1] Konkret geht es um ein Modell, das zeigt, wie groß die wirtschaftlichen Schäden infolge der Klimaerwärmung sein werden. Das Komitee führte weiter aus: „Nordhaus‘ Modell ist inzwischen weit verbreitet und wird verwendet, um zu simulieren, wie sich die Wirtschaft und das Klima gemeinsam entwickeln.“ Bei der weiteren Verbreitung von Nordhaus‘ Modell dürfte seither nicht zuletzt der Nobelpreis geholfen haben, sodass heute nahezu alle Finanzmarktakteure von Beratern über Banken bis zu Regulierungsbehörden mit dem Modell von Nordhaus oder ähnlichen Modellen arbeiten.

Aber was, wenn diese Modelle unsinnige Prognosen generieren? Dieser Frage geht eine neue Studie des britischen Thinktanks Carbon Tracker nach, denn die Modelle scheinen die Schäden infolge der Erwärmung massiv zu unterschätzen. [2] Der IPCC fasste letztes Jahr diese Studien so zusammen: „Eine Erwärmung von rund vier Grad kann bis 2100 zu einem Rückgang des jährlichen globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 10 bis 23 Prozent führen im Vergleich zum globalen BIP ohne Erwärmung.” [3 s. S. 2459] Aus Sicht von Carbon Tracker entspricht das allerdings nicht dem Stand der Klimawissenschaften: „Forschungsergebnisse der Klimawissenschaftler deuten darauf hin, dass die Auswirkungen eines Anstiegs um drei Grad (oder noch weniger) ‚katastrophal‘ sein könnten und dass bereits bei einer Erwärmung um ein Grad Kipppunkte des Klimas erreicht werden könnten.“

Risiken. Falsche Risikoeinschätzungen können schwerwiegende Folgen haben. (Foto: erlich / hdwallpapers)
Risiken. Falsche Risikoeinschätzungen können schwerwiegende Folgen haben. (Foto: erlich / hdwallpapers)

Die ökonomischen Modelle haben denn auch mehrere Schwachpunkte: Sie gehen davon aus, dass heutige Einkommensunterschiede zwischen Ländern mit unterschiedlichen Temperaturen zeigen, wie sich die Wirtschaftsleistung bei zusätzlicher Erwärmung verändern wird. Der Zusammenhang ist allerdings schwach. Das tropische Singapur hat etwa das gleiche Pro-Kopf-BIP wie Island und die Dominikanische Republik, die sich mit Haiti eine Insel teilt, hat ein sehr viel höheres Pro-Kopf-BIP als das Nachbarland. Der Klimaökonom Richard Tol sagt daher: „Das Klima ist nicht der Hauptfaktor für das Einkommen“ und folglich sind auch vier Grad Erwärmung nicht sonderlich schlecht fürs BIP. [4] Die Modelle lassen zudem den Einfluss des Klimas auf Niederschläge weg. Dürren und ihre Folgen sind daher nicht „eingepreist“. Das gleiche gilt für Kipppunkte. In den ökonomischen Modellen hängt die Höhe der Schäden allein von der Erwärmung ab. Dass Kipppunkte erreicht werden könnten, bei denen die Schäden sprunghaft zunehmen, bleibt unberücksichtigt.

Trotzdem wurden die Modelle alle in angesehenen, ökonomischen Wissenschaftsmagazinen veröffentlicht. Der Grund dafür ist simpel: Studien von Ökonomen werden nur von anderen Ökonomen begutachtet und nicht von Klimawissenschaftlern. Doch genau diese Studien dienen dann Finanzmarktakteuren für ihre Berechnungen. Das Financial Stabilty Board, dem alle G20-Staaten angehören, geht etwa davon aus, dass vier Grad Erwärmung nur zu einem Rückgang der Börsenkurse um drei bis zehn Prozent führen. [2] Solche Prognosen dienen dann Beratern für institutionelle Anleger wie der US-Firma Mercer wiederum für ihre Berechnungen. Deren Kunden bekommen dann folgenden Rat, wenn sie nach den Klimafolgen für ihre Portfolios fragen: „Ein Zwei-Grad-Szenario könnte Renditevorteile für Aktien aus Schwellenländern, Infrastruktur, Immobilien, Holz und Landwirtschaft bringen. Das Zwei-Grad-Szenario hat für langfristig diversifizierte Anleger auf Gesamtportfolioebene über den modellierten Zeitraum (bis 2050) keine negativen Auswirkungen auf die Rendite.“ [2]

Die offensichtlich unsinnigen Prognosen der ökonomischen Modelle finden so Eingang in die Entscheidungsprozesse von vielen, auch großen, Finanzmarktakteuren und spiegeln sich schließlich in den Börsenkursen wieder. Carbon Tracker schreibt daher: „Es besteht wahrscheinlich eine große Diskrepanz zwischen den aktuellen Kursen – und den falschen Erwartungen an künftige Schäden, die sie beinhalten – und den tatsächlichen Auswirkungen der globalen Erwärmung.“ Der Thinktank befürchtet daher einen „Minsky Moment“. Zu einem solchen kam es etwa im Jahr 2008, als die Märkte plötzlich realisierten, dass die US-Ramschhypotheken tatsächlich Ramsch sind und keine werthaltigen Anlagen. Die Folge war die Weltfinanzkrise. Etwas Ähnliches könnte nun wegen des Klimawandels passieren. Wenn die Märkte realisieren, dass die Klimaerwärmung viel stärkere Folgen für die Kurse hat als erwartet, kommt es zu einer plötzlichen Neubewertung von Finanzprodukten respektive zu einem Crash, meint Carbon Tracker: „Wir glauben, dass ein unangenehmer, abrupter und wohlstandsvernichtender Minsky-Moment praktisch unvermeidlich ist.“

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[1] Nobelprice, 08.10.2018: The Prize in Economic Sciences 2018 (PDF)

[2] Carbon Tracker, 27.07.2023: Loading the DICE Against Pensions

[3] IPCC, 2022: Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability (PDF)

[4] Richard Tol, 17.06.2019: Tweet