Ein neues Abkommen soll die Plastikverschmutzung reduzieren
Gilt das Konsensprinzip oder sind Abstimmungen möglich? Manche Länder meinen, man habe sich auf Abstimmungen geeinigt, während andere das bestreiten. Aus diesem Grund haben die Verhandler des neuen Plastikabkommens zwei Tage verloren.
Gestern (Freitag) ist in Paris die zweite von fünf Verhandlungsrunden über ein Abkommen zu Ende gegangen, das die Plastikverschmutzung weltweit reduzieren soll. Die Produktion von Plastik hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt und soll weiter stark ansteigen. Doch weniger als zehn Prozent davon werden rezykliert und der größte Teil verbrannt oder auf Müllkippen entsorgt. Zudem geraten jährlich rund 20 bis 30 Millionen Tonnen Plastik unkontrolliert in die Umwelt. Plastikpartikel finden sich denn auch an den entlegensten Winkeln der Erde: auf den Gletschern in Grönland oder in Tiefseegräben. Plastik wurde mittlerweile selbst im menschlichen Körper und in Muttermilch nachgewiesen. Die gesundheitlichen Folgen sind allerdings noch zu wenig erforscht. Die Produktion von Plastik ist zudem für rund 4,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Das ist mehr als die Emissionen der Luft- und Seefahrt zusammen. Ein Plastikabkommen ist daher überfällig und soll bis Ende 2024 ausgehandelt werden, was als ambitioniert gilt.
Dieser Dringlichkeit wurden die Vertreter der rund 160 Länder in Paris zu Beginn der Konferenz aber nicht gerecht. Die ersten beiden Tage stritten sie sich über die Regeln, die bei den Verhandlungen gelten sollen. Zum einen ging es um die Frage, wie viele Stimmen die EU hat. Bekommt diese automatisch 27 Stimmen für alle ihre Mitgliedsländer oder müssen alle 27 mit eigenen Delegierten an der Konferenz sein, damit die EU diese Stimmen bekommt? Hier einigte man sich darauf, die Frage zu vertagen. Zum anderen ging es um die Frage, ob Abstimmungen überhaupt möglich sein sollen. Absurderweise sind sich die Länder hier nicht einig, ob diese Frage schon entschieden wurde oder nicht. Die Industriestaaten und einige kleinere Entwicklungsländer sind der Ansicht, dass man sich auf Abstimmungen geeinigt habe. Die größten Schwellenländer wie Indien, China, Russland und Brasilien hingegen bestreiten dies und wollen beim Konsensprinzip bleiben. Erst Dienstagnacht konnte man sich schließlich darauf einigen, dass in dieser Frage keine Einigung besteht. Magnus Løvold von der norwegischen Akademie für internationales Recht nannte den Kompromiss eine „wunderschöne Aufführung von diplomatischer Zauberei“. [1]
Damit konnten die eigentlichen Verhandlungen beginnen. Hier lassen sich grob drei Gruppen von Ländern unterscheiden: Die größte ist die High Ambition Coalition (HAC), der alle Industriestaaten außer den USA und viele Entwicklungsländer angehören. Diese Länder wollen, dass das neue Abkommen den gesamten Lebenszyklus von Plastik abdeckt – von der Produktion bis zur Wiederverwertung oder Entsorgung. Außerdem soll das Abkommen den Ländern klare Vorgaben machen. Letzteres wollen insbesondere die USA verhindern. Diese wollen, dass die Länder freiwillige Aktionspläne entwickeln, die durch das Abkommen in einen internationalen Rahmen eingebettet werden, ähnlich wie beim Pariser Klimaabkommen. Die dritte Gruppe um Saudi Arabien will schließlich erreichen, dass die Produktion von Plastik durch das Abkommen nicht beschränkt wird. Da Plastik zu einem großen Teil aus Öl hergestellt wird, erhoffen sich diese Länder einen neuen Absatzmarkt für ihr wichtigstes Exportprodukt.
Erste Hinweise, wie sich diese gegenläufigen Interessen in einem Abkommen bündeln lassen, könnte bereits im Herbst der Null-Entwurf des Abkommens liefern. Diesen Entwurf werden die Verhandlungsvorsitzenden vor der nächsten Verhandlungsrunde gegen Ende Jahr in Kenia vorstellen. Da sich die Länder noch nicht mal darauf einigen können, ob sie sich bereits geeinigt haben, dürften aber noch nächtelange Verhandlungen erforderlich sein, bis tatsächlich ein wirkungsvolles Plastikabkommen verabschiedet werden kann.
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[1] Magnus Løvold, 01.06.2023: Report from the ministry of magical diplomatic affairs