Faktor 1300

Die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre muss massiv gesteigert werden

Bislang rechnen sich viele Länder mit CO2-Entnahmen ihre Klimapläne schön, aber investieren zu wenig in den Hochlauf der verschiedenen Entnahmemethoden. Dabei müssen jetzt die Weichen gestellt werden, wenn in Zukunft der Luft viele Milliarden Tonnen CO2 entnommen werden sollen.

Die Atmosphäre enthält nur sehr wenig CO2. Auf eine Million „Luftteilchen“ kommen nur 420 CO2-Moleküle. Doch das sind deutlich zu viele: Vor Beginn der Industrialisierung enthielt die Luft nur 280 CO2-Moleküle. [1] Die Konzentration des Treibhausgases ist folglich um die Hälfte gestiegen und hat das Klima um 1,1 Grad erwärmt. Um die Erwärmung wie im Paris Abkommen vorgesehen, bei deutlich unter zwei Grad zu stoppen, müssen die Emissionen auf netto-null sinken, damit sich nicht noch mehr CO2 in der Atmosphäre ansammelt. Das Wort „netto“ bedeutet allerdings zweierlei: Zum einen gibt es noch Emissionen und zum anderen wird der Atmosphäre wieder CO2 entzogen. In den Szenarien des Weltklimarats IPCC sind diese CO2-Entnahmen oft beträchtlich: Jährlich müssen mehrere Milliarden Tonnen CO2 der Luft entnommen und dann gespeichert werden.

Aktuell belaufen sich die CO2-Entnahmen auf rund zwei Milliarden Tonnen pro Jahr, zeigt eine neue Studie, die den Kenntnisstand über CO2-Entnahmen zusammenfasst. [2] Doch das reicht nicht: Schon im Jahr 2030 muss die Menschheit der Atmosphäre rund doppelt so viel CO2 entnehmen. Dazu gibt es verschiedene Techniken. Am bekanntesten ist die Aufforstung von Wäldern, auf die derzeit 99,9 Prozent aller CO2-Entnahmen entfallen. Die verbleibenden 0,1 Prozent verteilen sich auf einen ganzen Strauß an Optionen: So kann man Pflanzenkohle auf Äckern ausbringen, damit der Kohlenstoff im Boden gebunden wird. Möglich ist auch das Ausbringen von Gesteinsmehl an dem sich CO2 bindet. Diese beiden Verfahren verbessern zudem die Bodenqualität. In den meisten IPCC-Szenarien kommt außerdem BECCS zum Einsatz: Hier wird Biomasse (BE) zur Energieerzeugung verbrannt und dann das CO2 abgetrennt und unterirdisch verpresst. Möglich ist auch CO2 direkt aus der Luft zu filtern und dann wiederum zu verpressen, eine Technik, die als DACCS bekannt ist.

DAC. Das Herausfiltern von CO2 ist enorm energieaufwändig. (Foto: 1PointFive)
DAC. Das Herausfiltern von CO2 ist enorm energieaufwändig. (Foto: 1PointFive)

Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, reicht es aber nicht, einfach mehr aufzuforsten. Auch die anderen Techniken zur CO2-Entnahme sind dringend erforderlich. Im Schnitt der IPCC-Szenarien müssen die neuartigen Entnahmemethoden bis 2030 um den Faktor 30 und bis 2050 um den Faktor 1300 gesteigert werden. „Angesichts der Größenordnung, die die CO2-Entnahme-Industrie bis Mitte des Jahrhunderts erreichen muss, besteht dringender Bedarf an politischer Anschubhilfe“, sagt daher Gregory Nemet von der Universität Wisconsin-Madison, einer der Mitautoren der Übersichtsstudie. [3] Dazu müssten die Länder Strategien für die CO2-Entnahme entwickeln, die zeigen, welche Methoden wie schnell hochskaliert werden. „CO2-Entnahme ist kein Kann, sondern ein Muss, um das Temperaturziel des Paris-Abkommens zu erreichen. Gut 120 Regierungen haben ein Netto-Null-Emissionsziel, was CO2-Entnahme voraussetzt, aber nur wenige haben umsetzbare Pläne für deren Entwicklung – das ist ein großes Manko”, sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. [3]

Maßnahmen seien allerdings auch auf der internationalen Ebene erforderlich, sagt der Schirmherr der Studie und frühere Leiter der EU-Delegation bei den UN-Klimakonferenzen, Artur Runge-Metzger: „Bei der nächsten UN-Klimakonferenz muss die Größe der Lücke bei der CO-Entnahme ausdrücklich anerkannt werden.“ [2] Zudem müsse ein separater Verhandlungsstrang zum Thema CO2-Entnahme geschaffen werden. Dort können die Länder dann festlegen, wie über CO2-Entnahmen berichtet werden muss und wie Entnahmen in die nationalen Klimaplänen integriert werden können. Zudem brauche es Geld, meint Runge-Metzger. Ob die Länder bei all diesen Themen Fortschritte machen, wird dann der nächste Sachstandsbericht zu CO2-Entnahmen zeigen, der bereits in Planung ist. Bis dann sollten sich die Regierungen auf die Reduktion einer Zahl konzentrieren: Faktor 1300.

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[1] NOAA, 03.06.2022: Carbon dioxide now more than 50% higher than pre-industrial levels

[2] Stephen Smith et al. 19.01.2023: The State of Carbon Dioxide Removal – 1st Edition