Europa kommt ohne Russlands Gas durch den Winter

Ein permanenter Lieferstopp wäre hingegen schwieriger zu verkraften

Dank des milden Winters hat Europa im Moment genug Gas. Trotzdem könnte es regional Schwierigkeiten geben. Sollte jahrelang kein Gasimport aus Russland möglich sein, wären die Folgen hingegen dramatischer und der Gasbedarf müsste gesenkt werden.

Europa bezieht 40 Prozent seines Gasbedarfs aus Russland. Sollte Russland die Ukraine angreifen, könnte dieses Gas wegfallen, entweder wegen westlicher Sanktionen oder als russische Gegenmaßnahme auf andere westliche Sanktionen. Leisten könnte sich das Russland. In Folge eines Krieges würde auch der Preis für Öl steigen, ein Produkt, das Russland auch an andere Länder als Europa verkaufen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gasspeicher in Europa derzeit weniger gut gefüllt sind als in einem normalen Jahr. Das liegt nicht zuletzt an Russland respektive Gazprom. Die Speicher des russischen Konzerns in Europa sind nur zu 16 Prozent gefüllt, während die Speicher anderer Konzerne noch zu 44 Prozent gefüllt sind. Ein EU-Dokument zum Energiemarkt kommt daher zum Schluss, Gazprom zeige „ein ungewöhnliches Geschäftsgebaren“. [1]

Europa ist allerdings nicht ganz unvorbereitet. Seit dem Jahr 2005 ist die Kapazität für den Import von Flüssiggas um den Faktor 3,4 gestiegen. Im Jahr 2011 wurde eine zweite Pipeline von Algerien nach Spanien eröffnet und im Jahr 2020 wurde das letzte Teilstück des „Südlichen Gaskorridors“ fertiggestellt, durch den Gas aus Aserbaidschan nach Europa gelangt. [2] Außerdem hat die EU die Verbindungen zwischen ihren Mitgliedsländern ausgebaut, sodass die meisten Gas nun aus verschiedenen Richtungen beziehen können. Die Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, sagte daher an der Münchner Sicherheitskonferenz: „Selbst bei einer völligen Unterbrechung der Gasversorgung durch Russland, sind wir diesen Winter auf der sicheren Seite.“ [3] Das war nicht immer klar. Wenn der Winter deutlich kälter gewesen wäre, wären heute die Gasspeicher noch deutlich leerer als jetzt.

Abhängig. Viele Raffinerien wie die von OMV in Schwechat sind darauf ausgelegt, dass Öl und Gas aus dem Osten kommen. (Foto: Unbekannt / WallpaperFlare)
Abhängig. Viele Raffinerien wie die von OMV in Schwechat sind darauf ausgelegt, dass Öl und Gas aus dem Osten kommen. (Foto: Unbekannt / WallpaperFlare)

Die gute Prognose bedeutet allerdings nicht, dass es nicht in einzelnen Ländern zu Problemen kommen kann. Insbesondere im Osten der EU ist die Infrastruktur immer noch darauf ausgelegt, dass der größte Teil des Gases aus Belarus oder der Ukraine kommt. Eine Komplettversorgung aus Westeuropa ist hier nicht vorgesehen. Und dann ist in der EU Gas nicht gleich Gas. Im Nordwesten Europas wird „L-Gas“ genutzt und im Rest Europas „H-Gas“, das deutlich mehr Methan und damit Energie enthält. [4] Weil die Infrastruktur auf die jeweilige Gassorte ausgerichtet ist, lässt sich das eine nicht problemlos durch das andere ersetzen.

Sollte Europe mehrere Jahre kein russisches Gas importieren, sähe die Lage dramatischer aus. Eine Studie des belgischen Thinktanks Bruegel warnt: „Auf der Angebotsseite sind zwar einige freie Importkapazitäten vorhanden, doch wäre es im besten Fall sehr teuer und im schlimmsten Fall physisch unmöglich, die russischen Mengen vollständig zu ersetzen.“ [4] Das Hauptproblem beim Angebot ist die Verfügbarkeit von Flüssiggas. Wegen des hohen Gaspreises laufen die Anlagen zur Verflüssigung bereits an der Kapazitätsgrenze und auch LNG Tanker sind knapp. Zudem haben sich Länder in Asien einen Großteil des verfügbaren Flüssiggases über langfristige Verträge gesichert. Auch beim Pipelinegas gibt es keine großen ungenutzten Potentiale. Einzig aus Algerien und Libyen ließe sich deutlich mehr Gas beziehen als heute. Die Produktion steigern, könnte auch das niederländische Gasfeld Groningen. Dort wird derzeit die Produktion gedrosselt, um Erdbeben zu verhindern.

Folglich müsste die Nachfrage sinken. Hier besteht die Möglichkeit bei der Stromerzeugung Gas durch Öl oder Kohle zu ersetzen sowie die Kernkraftwerke länger laufen zu lassen. Zudem ließe sich in der Industrie Gas einsparen, indem besonders gasintensive Industrien die Produktion aussetzen. Außerdem ließen sich durch Verhaltensänderungen Einsparungen erzielen. Doch all diese Maßnahmen würden sich „für manche Länder als schmerzhaft erweisen“. [4] Aber auch ohne Lieferstopp könnte es teuer werden, meint Clemens Fuest vom Ifo-Institut: „Selbst wenn das Gasangebot nicht eingeschränkt wird, würde es zumindest vorübergehend zu einem Preisschock kommen.“ [5] Aktuell liegt der TTF Gaspreis in den Niederlanden bei rund 75 Euro pro Megawattstunde und damit fünfmal so hoch wie im Jahr 2020. Wie hoch der Preiss steigen kann, zeigt eine kurzfristige Preisspitze im Dezember: Damals kostete Gas 166 Euro. Hinzu kommt, dass ein steigender Gaspreis auch den Strompreis nach oben zieht. Dieser ist aktuell dreieinhalbmal so hoch wie letztes Jahr.

Langfristig setzt die EU auf den Ausbau der Erneuerbaren, um die Abhängigkeit von importiertem Gase zu reduzieren. „Die beste Lösung für mehr Energiesicherheit und für tiefer Preise ist die beschleunigte Umsetzung des europäischen Green Deal“ schreibt die EU in ihrer Analyse des Energiemarkts. [1] „Jedes Windrad und jedes Solarpaneel reduziert sofort die Abhängigkeit von Gasimporten.“

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[1] Euractiv, 18.02.2022: Energy prices will ‘remain high and volatile until at least 2023’, EU Commission says

[2] Nikos Tsafos, 07.02.2022: Tweet

[3] Von der Leyen,

[4] Bruegel, 27.01.2022: Can Europe survive painlessly without Russian gas?

[5] Clew, 18.02.2022: Temporary “price shock” for oil and gas in event of Russian invasion of Ukraine – ifo head