In den letzten zehn Jahren haben sie sich um 236 Milliarden Dollar geschrumpft
Die größten privaten Öl- und Gaskonzerne verkaufen lieber Beteiligungen und machen Schulden, als die Dividende zu senken. Auf den ersten Blick erscheinen sie so als hochprofitabel, aber auf den zweiten verkaufen sie einfach das Tafelsilber.
Die Divestment Bewegung fordert von institutionellen Anlegern, dass diese ihre Beteiligungen an Firmen abstoßen, die ihr Geld mit Kohle, Öl oder Gas verdienen. Dadurch sollen die Kapitalkosten für diese Firmen nach oben getrieben werden. Aktuell haben mehr als 1300 Großanleger versprochen ihr Geld aus der Fossilindustrie zu desinvestieren. Diese Anleger verwalten 14,5 Billionen Dollar. [1] Damit rückt ein „sozialer Kipppunkt“ in Greifweite, denn die 500 größten Anleger der Welt verwalteten vorletztes Jahr „nur“ rund 100 Billionen. [2] Ilona Otto, die an der Universität Graz solche Kippunkte erforscht, sagt: „Simulationen zeigen, dass wenn etwa neun Prozent der Investoren desinvestieren, dann folgen die anderen, weil sie Angst haben zurückgelassen zu werden und Geld zu verlieren.“ [3]
Erstaunlicherweise gehören die fünf größten Ölmultis allerdings selbst zu den größten Desinvestoren. Das zeigt eine aktuelle Studie des US-Thinktanks IEEFA. [4] Dieser hat untersucht, wieviel Geld der Verkauf von Öl und Gas in die Kassen spült und wieviel Geld die Ölmultis an ihre Aktionäre in Form von Dividenden und Aktienrückkäufe zurückgeben. Dabei zeigt sich, dass die Ölmultis seit Jahren aus sich selbst investieren. Oder genauer: Der „Free Cash Flow“ (Gewinn plus Abschreibungen minus Investitionen) ist kleiner als die Ausschüttungen an die Aktionäre. Dabei geht es um große Summen: ExxonMobil hat letztes Jahr knapp 18 Milliarden Dollar mehr an die Anteilseigner verteilt als eingenommen. Ähnlich sieht es bei drei weiteren Energiemultis aus: Chevron (weit mehr als 9 Milliarden), BP (gut 7 Milliarden) und Total (knapp 3 Milliarden). Einzig Shell hat sich nicht selbst geschrumpft sondern 8 Milliarden einbehalten.
Dafür können die Firmen noch nicht mal die Coronakrise verantwortlich machen. Diese hat zwar den Ölpreis von knapp 70 Dollar pro Barrel (159 Liter) auf gut 20 Dollar einbrechen lassen, aber die Praxis, mehr an die Aktionäre auszuschütten als einzunehmen, gab es schon zuvor: In acht der letzten zehn Jahre haben die großen Ölmultis aus sich desinvestiert – insgesamt 236 Milliarden Dollar (siehe Grafik). Absoluter Spitzenreiter war erneut ExxonMobil mit 87 Milliarden und am sparsamsten war erneut Shell mit einer Desinvestition von gut 9 Milliarden über zehn Jahre.
Finanziert wird diese Großzügigkeit gegenüber den eigenen Aktionären durch den Verkauf von Beteiligungen und durch neue Schulden. Einer der Studienautoren, Clark Williams-Derry, sagt dazu: „Großzügige Dividenden und Aktienrückkäufe geben den größten privaten Öl- und Gasfirmen der Welt den Anschein von erstklassiger finanzieller Performance. Doch eine genauere Untersuchung zeigt eine zugrundeliegende Schwäche.“ [5] Vielleicht ist es aber auch ganz anders. Vielleicht haben die Ölmultis eingesehen, dass sich ihre Zeit dem Ende zuneigt, und verkaufen sich daher nach und nach selbst – an Investoren und Kreditgeber, die noch nicht zu dieser Erkenntnis gekommen sind. mic
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[1] GoFossilFree, Stand 11.03.2021: Übersicht der Selbstverpflichtungen
[2] GlobalNewswire, 19.10.2020: Global asset manager AuM tops $100 trillion for the first time
[3] Phys Org, 02.03.2021: Social tipping points: slouching toward climate salvation
[4] IEEFA, 04.03.2021: Running on Fumes: Oil and Gas Supermajor Cash Woes Worsened in 2020 (PDF)