Für Finanzmärkte hat das Endspiel um fossile Energien begonnen

Fossilkonzerne machen eine riskante Wette gegen das Paris Abkommen

Aktienkurse bilden die Gewinnerwartung der Märkte ab. Ändert sich diese fundamental, dann kann das ein Börsenbeben auslösen. Fünf wichtige Trends sorgen derzeit dafür, dass viele Marktakteure ihre Wahrnehmung von Kohle-, Öl- und Gaskonzernen hinterfragen.

Die meisten Regierungen nehmen das Ziel des Paris Abkommens nicht ernst, die Klimaüberhitzung auf „deutlich unter zwei Grad“ zu begrenzen. Ein Beispiel: Deutschland müsste bis zum Jahr 2035 seine Emissionen auf Netto-Null senken, um das Ziel zu erreichen, wie der Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf ausgerechnet hat. [1] Die Bundesregierung strebt aber Klimaneutralität erst ab dem Jahr 2050 an. Das ist auch den großen Rohstoffkonzernen der Welt aufgefallen. Diese investieren daher in die Erschließung von Kohle-, Öl- und Gasvorkommen, die nicht mit dem Klimaabkommen kompatibel sind. Dabei geht es um viel Geld, wie Berechnungen des britischen Thinktanks Carbon Tracker zeigen: Allein in den letzten beiden Jahren haben die großen Energiekonzerne Investitionen von 50 Milliarden Dollar beschlossen, die sich nicht rechnen werden, wenn das Temperaturziel erreicht wird. [2 s. S. 4] Die Konzerne vertrauen also darauf, dass die Politik weiter untätig bleibt. Mit dieser Einschätzung stehen sie aber zunehmend alleine da. Larry Fink, der Chef von Blackrock, dem weltgrößten Vermögensverwalter, schrieb Mitte Januar an die Konzernchefs dieser Welt: „Das Bewusstsein ändert sich rasant, und ich bin überzeugt, dass wir vor einer fundamentalen Umgestaltung der Finanzwelt stehen.“ [3]

Herdentrieb. Wenn sich die Erwartungen der Händler fundamental ändern, bricht hier die Panik aus. (Foto: Thomas J. O’Halloran / Wikipedia)

Dass Fink damit Recht behalten könnte, zeigen fünf Entwicklungen, derer sich immer mehr Finanzmarktakteure bewusst werden:

  • Energieausbeute
    Die französische Großbank BNP Paribas hat ausgerechnet, was Öl langfristig noch kosten darf: 10 Dollar pro Fass (159 Liter). [4] Dazu hat sie sich angeschaut, wieviel Energie am Rad eines Autos ankommt. Bei Benzinautos bekommt man 240 Terrawattstunden (TWh) Energie am Rad für eine Investition von 100 Milliarden Dollar in Ölfelder, Raffinerien etc. [4 s. S. 12] Würde man die gleichen 100 Milliarden hingegen in Solar- und Windparks investieren und mit dem Strom Elektroautos betreiben, käme rund siebenmal mehr Energie am Rad an. Um diesen Nachteil auszugleichen, dürfte Öl nur zehn Dollar pro Fass kosten. Zu diesem Preis können aber nur Saudi Arabien, der Irak und die Arabischen Emirate noch Öl produzieren. [5] Praktisch bedeutet das: Die Kostenstruktur sorgt für das Verschwinden von Verbrennungsmotoren in Autos und reduziert damit die Ölnachfrage um 40 Prozent. Die Bank schreibt daher: „Die Wirtschaftlichkeit von Öl ist nun in einem unerbittlichen und unumkehrbaren Niedergang.“ [4 s. S. 3]
  • Stromnachfrage
    Nicht viel besser sieht es bei der Herstellung von Elektrizität aus Kohle und Gas aus. Diesen Strom will ein immer größerer Teil der Wirtschaft nicht mehr kaufen. Immer mehr Firmen setzen sich wissenschaftsbasierte Klimaziele und versuchen ihre Emissionen schrittweise auf Null zu drücken. Der erste Schritt ist hier meist die Umstellung auf erneuerbaren Strom. Dieses Ziel verfolgt die Initiative RE100, deren Mitglieder auf hundert Prozent Ökostrom umstellen wollen. Wenn diese Firmen ein Land wären, lägen sie mittlerweile bei der Stromnachfrage auf Platz 21 der Welt, vor Südafrika und nach Indonesien. [6] Zudem erwarten diese Unternehmen, dass ihre Lieferanten das Gleiche tun, wodurch eine Klimaschutz-Kaskade in der ganzen Wertschöpfungskette in Gang kommt.
  • Finanzboykott
    Für Energiekonzerne wird es zudem immer schwieriger, ihre Investitionen zu finanzieren. Viele institutionelle Anleger bereinigen mittlerweile ihre Aktienportfolios von fossilen Energien. Das kann Öl- und Gaskonzernen egal sein, solange sie keine neuen Aktien ausgeben. Kritischer ist hingegen, dass sie auch immer schwerer an Kredite kommen. So wird die Europäische Investitionsbank, die größte Entwicklungsbank der Welt, ab übernächstem Jahr kein Geld mehr für fossile Energien mehr vergeben. Auch viele Geschäftsbanken boykottieren neue Investitionen in Kohle, Ölsande und die Suche nach Öl in der Arktis. Die Liste liest sich zunehmend wie ein „Who is Who?“ der Großfinanz: Goldman Sachs [14], HSBC, Standard Chartered, BNP Paribas, Crédit Agricole, Société Général, UBS, Crédit Suisse, Deutsche Bank, Commerzbanz etc. [7] Noch schwerwiegender könnte sich ein Boykott durch Versicherungen auswirken. Denn selbst wenn ein Energiekonzern ein neues Projekt aus eigenen Mitteln finanziert, muss er sich gegen große Schadensfälle absichern können. Viele Institute lehnen dies mittlerweile aber ab: AXA, Allianz, Generali, Munich Re, Swiss Re, Zurich etc. [8 Damit steigen die Kapitalkosten für neue Kohle- und zum Teil Ölprojekte.
  • Social License
    Eine weitere Gefahr für Energiekonzerne ist der Verlust der gesellschaftlichen Akzeptanz. Der Chef der britischen Aufsichtsbehörde der Öl- und Gasindustrie, Tim Eggar, warnte im Januar: „Die Industrie tut nicht genug und droht ihre ‚gesellschaftliche Betriebserlaubnis‘ (social licence to operate) zu verlieren.“ [9] Das zeigt auch ein Beispiel aus Deutschland: Der Verkauf von Signaltechnik für die Werksbahn der neuen Adani-Kohlemine in Australien entwickelte sich für Siemens zum PR-Gau. Der Konzern war tagelang wegen eines 20-Millionen-Auftrags in den Schlagzeilen. Damit muss nun jeder Firma aus jeder Branche klar sein, dass eine Zusammenarbeit mit der Kohleindustrie – und sei sie noch so geringfügig – zu einem Reputationsschaden führen kann. Das stellt auch den Fahrplan der Bundesregierung für den Kohleausstieg in Frage. Es ist schwer vorstellbar, dass es nach dem Jahr 2030 noch eine „social licence“ für Kohlekraftwerke geben wird. Für die Jugendlichen von Fridays for Future und Gruppen wie Extinction Rebellion gibt es die heute schon nicht mehr.
  • Regulierung
    Öl- und Gaskonzerne haben aber noch einen mächtigen „Gegner“. Mittlerweile sorgen sich die Notenbanken, dass die Branche das Epizentrum des nächsten Börsenbebens sein könnte. [10] Mark Carney, der Chef der britischen Notenbank (BoE), warnt: Wer sich nicht an die Klimakrise anpasst, „geht bankrott“. [11] Aus diesem Grund hat Carney eine Initiative initiiert, die Firmen dazu ermuntert, ihre Klimarisiken offen zu legen. [13] Für Banken geht die BoE aber noch weiter: Diese müssen in Zukunft einen „Klima-Stresstest“ bestehen. Bei solchen Test wird in der Regel durchgespielt, was passiert, wenn Länder kollabieren. Doch beim Klima-Stresstest geht es um eine plötzliche Neubewertung der Fossilkonzerne durch die Börsen. [12] Sobald die Märkte davon ausgehen, dass ein Großteil der Öl- und Gasreserven unverkäuflich ist, verlieren die Konzerne massiv an Wert. Milliarden lösen sich in Luft auf. Das kann auch Banken ins Wanken bringen. Der Stresstest soll genau das verhindern. Gleichzeitig signalisiert er den Märkten aber auch, dass die „Hüter des Geldes“ dieses Risiko für real halten und besonnene Investoren besser einen Bogen um fossile Energien machen. Das erschwert den Öl- und Gaskonzernen wiederum die Finanzierung.

Die Fossilkonzerne könnten also Recht damit haben, dass die Regierungen nicht bereit sind, etwas gegen die Klimakrise zu tun. Gegen das Paris Abkommen zu wetten, ist dennoch riskant. Eine Industrie, die den technischen Fortschritt, viele ihrer Großkunden, die wichtigsten Finanzmarktakteure und den Überlebensinstinkt der Jugend gegen sich hat, kann eigentlich nicht erwarten, dass Alles bleibt wie es ist. Und sobald genug dieser Akteure das auch so sehen, dann ist es vorbei: das Endspiel um die fossilen Energien. mic

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[1] Stefan Rahmstorf, 28.03.2019: Wie viel CO2 kann Deutschland noch ausstoßen?

[2] Carbon Tracker, September 2019: Breaking the Habit – Why none of the large oil companies are “Paris-aligned”, and what they need to do to get there

[3] Larry Fink, Januar 2020: Eine grundlegende Umgestaltung der Finanzwelt

[4] BNP Paribas, August 2019: Wells, Wires and Wheels – Eroci and the the toughh road ahead for oil (PDF)

[5] Knoema, undatiert: Cost of oil production by country

[6] RE100, Deyember 2019: Annual Report – Going 100% renewable: how committed companies are demanding a faster market response (PDF)

[7] Banktrack verfolgt welche Banken nicht länger in Kohle, Teersande und Öl aus der Arktis investieren.

[8] Unfriend Coal, Dezember 2019: Insurers withdrawing cover from coal projects double in 2019

[9] Recharge, 16.01.2020: Offshore oil industry ‘social licence to operate under threat’ in UK

[10] BiZ, Januar 2020: Green Swan – Central banking and financial stability in the age of climate change (PDF)

[11] Guardian, 13.10.2019: Firms ignoring climate crisis will go bankrupt, says Mark Carney

[12] BoE, Dezember 2019: The 2021 biennial exploratory scenario on the financial risks from climate change (PDF)

[13] BusinessGreen, 12.02.2020: Climate risk: 1,000 global firms give backing to corporate disclosure guidelines

[14] EcoWatch, 16.12.2019: Goldman Sachs Is First U.S. Big Bank to Divest From Arctic Oil and Gas