Die Klimakrise wird justiziabel

Britische Regierung darf Paris Abkommen nicht einfach ignorieren

Die britische Regierung muss das Paris Abkommen berücksichtigen und die niederländische Regierung bekommt von einem Gericht ein Minimalziel für die Reduktion der Emissionen gesetzt. Wenn dieser Trend anhält, werden in Zukunft oft Richter über die Klimapolitik entscheiden.

Am Donnerstag hat das Klima zum zweiten Mal in drei Monaten einen wichtigen Gerichtsprozess gewonnen. Ein Londoner Berufungsgericht entschied, dass die Baugenehmigung für die dritte Startbahn des Londoner Flughafens Heathrow ungültig ist. Der Grund: Die britische Regierung hätte das Paris Abkommen berücksichtigen müssen: Die Baugenehmigung „war unrechtmäßig, weil unterlassen wurde die Verpflichtungen der Regierung gegenüber den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens zu berücksichtigen“, urteilten die drei Richter. [1] Die dritte Startbahn würde weitere 700 Flüge pro Tag ermöglichen, was zusätzliche Emission von drei bis vier Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zur Folge hätte. William Rundle, ein Rechtsexperte der Umweltorganisation Friends of the Earth, bezeichnete das Urteil als „absolut bahnbrechendes Ergebnis für die Klimajustiz“. „Dieses Urteil hat aufregende Folgen, wenn es darum geht den Klimawandel bei Planungsentscheidungen zu berücksichtigen.“ [2] Während die Betreiberfirma von Heathrow angekündigt hat, Berufung einzulegen, hat die britische Regierung bereits angekündigt dies nicht zu tun.

Das Heathrow-Urteil kommt nur knapp drei Monate nach einer noch bedeutenderen Klimaentscheidung. Im Dezember hat das höchste niederländische Gericht entschieden, dass die Niederlande ihre Emissionen bis Ende dieses Jahres um mindestens 25 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 senken müssen. Damit bestätigten die Richter das Urteil eines Bezirksgerichts aus dem Jahr 2015. Die Richter begründen ihr Urteil mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK): „Artikel 2 der EMRK schützt das Recht auf Leben. Aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist ein Staat verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, wenn eine reale und direkte Gefahr besteht. Das gilt auch auf Umweltgefahren.“ [3] Aus der Mitgliedschaft der Niederlande in der UN-Klimakonvention leiten die Richter dann ab, dass die Regierung handeln muss: Die Klimakonvention „beruht auf der Prämisse, dass alle Mitgliedsländer Maßnahmen ergreifen. Jedes Land ist daher für seinen Teil verantwortlich.“ Doch für welchen „Teil“ sind die Niederlande verantwortlich? Hier greift das Gericht auf die Klimaberichte des Weltklimarats IPCC zurück: „Der Klimabericht aus dem Jahr 2007 beinhaltet ein Szenario, das die Erwärmung mit großer Wahrscheinlichkeit auf zwei Grad begrenzt. Um dieses Ziel zu erreichen müssen die Industriestaaten (inklusive der Niederlande) ihre Emissionen um 25 bis 40 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren.“

Hoge Raad. Das Motto des Den Haager Gerichts lautet: “Ubi iudicia deficiunt incipit bellum” oder anders: Wo die Gerechtigkeit versagt beginnt die Klimakrise. (Foto: Bas Kijzers / Rijksvastgoedbedrijf / Wikipedia)

Dieses Urteil ist in dreierlei Hinsicht bemerkenswert: Indem es sich auf die EMRK abstützt, kann es in allen europäischen Ländern als Präzedenzfall gelten. Dann verpflichtet es ein einzelnes Land seinen „Teil“ zum kollektiven Ziel der UN-Klimakonvention beizutragen. Und schließlich beziffert es anhand des wissenschaftlichen Kenntnisstandes, wie groß dieser Teil mindestens sein muss. Damit ist die Klimapolitik der Niederlande justiziabel. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, die frühere chilenische Präsidentin Michelle Bachelet, lobte das Urteil: Dieses bestätige ihre Überzeugung, „dass Klimaschutz eine menschenrechtliche Verpflichtung und nicht einfach eine politische Präferenz ist“. [4] Bachelet rief außerdem dazu auf, in anderen Ländern ähnliche Klagen anzustrengen: „Dieses Urteil zeigt einen klaren Weg auf, um die Menschenrechte mit Klimaprozessen zu schützen.“ Diesen Rat beherzt die irische Umweltorganisation Friends of the Irish Environment und Irlands oberstes Gericht hat letzte Woche deren Klage zugelassen. [5] Wer gegen seine Regierung klagen will, erhält zudem Unterstützung von der internationalen Anwaltskammer IBA. Diese hat ein praktisches Handbuch für solche Klagen veröffentlicht. [6]

Die niederländische Regierung hat jetzt allerdings ein Problem. Derzeit liegen die Emissionen des Landes nur rund 20 Prozent unter dem Niveau von 1990 und nicht 25 Prozent. [7] Noch hat die Regierung nicht gesagt, wie sie die fünf zusätzlichen Prozentpunkte schaffen will. Christiana Figueres, eine der „Mütter des Paris Abkommens“, bezeichnete diese Herausforderung als „Testfall für einen sehr schnelle Reduktion der Emissionen“. [8] Machbar ist es im Fall der Niederlande allerdings: Das Land hat noch drei Steinkohlekraftwerke, die eigentlich aber erst in neun Jahren abgeschaltet werden sollen. Die Niederländische Umweltberatungsfirma CE Delft hat ausgerechnet, was deren Abschaltung bringt: Eine Reduktion der Emissionen um neun Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, genau die Menge die gebraucht wird. [7] Die Anlagen sind allerdings noch brandneu und erst seit vier respektive fünf Jahren am Netz. Deren Besitzer, die deutschen Energiekonzerne RWE und Uniper, drohen denn auch mit Klagen, falls sie die Meiler ohne Entschädigung schon dieses Jahr schließen müssen. In diesem Fall dürfte es wieder zu einem spannenden Gerichtsverfahren kommen: Die niederländische Regierung könnte dort argumentieren, dass sie durch „höhere Gewalt“ zur Schließung der Anlagen gezwungen ist. mic

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[1] Climate Home, 27.02.2020: UK’s Heathrow airport expansion ruled unlawful over climate change

[2] BBC, 27.02.2020: Climate campaigners win Heathrow expansion case

[3] Supreme Court of the Netherlands, 20.12.2019: The State of the Netherlands versus Stichting Urgenda (PDF)

[4] OHCHR, 20.12.2019: Bachelet welcomes top court’s landmark decision to protect human rights from climate change

[5] ClimateCaseIreland, 14.02.2020: Supreme Court to hear Climate Case Ireland appeal

[6] IBA, 18.02.2020: New Model Statute for citizens to challenge governments failing to act on climate change

[7] CE Delft, Mai 2019: Effects of closing three additional coal-fired power stations

[8] Climate Home, 26.02.2020: The Netherlands faces pressure as global ‘test case’ for deep emissions cuts in 2020