Ökonomen bezweifeln die Existenz eines US-Defizits
In den Tiefen der US-Leistungsbilanz versteckt sich eine erstaunliche Zahl: Die USA haben in der Bilanz der Vermögenseinkommen ein Plus. Gleichzeitig schulden sie gemäss US-Statistik der Welt knapp 8000 Milliarden Dollar. Das Plus deutet daher auf einen unerfassten Vermögenswert hin: ‚Dunkle Materie‘.
Die USA und China steuern auf einen Handelskrieg zu, weil US-Präsident Donald Trump das US-Handelsdefizit reduzieren will. „Die USA verlieren 500 Milliarden Dollar pro Jahr und haben jahrzehntelang Milliarden von Dollar verloren. Das kann so nicht weitergehen!“ twitterte Trump Anfang April. Unklar ist allerdings worauf sich die Zahl von 500 Milliarden bezieht. Unklar ist aber auch, was die offiziellen Handelsstatistiken wert sind. Nehmen wir den Güterhandel und hier das Apple iPhone. Dieses ist ‚Made in China‘. IHS Markit schätzt den Wert der Komponenten eines iPhone X auf 370 Dollar. Davon entfallen allein 110 Dollar auf das in Südkorea hergestellte Display. Der Wert der Endmontage in China wird hingegen auf nur drei bis sechs Prozent der gesamten Herstellungskosten geschätzt. [1] Das sind 11 bis 22 Dollar. Dennoch schlägt jedes iPhone in der Statistik der US-Importe aus China mit mehreren Hundert Dollar zu Buche.

Dabei ist der Güterhandel noch relativ einfach zu erfassen, denn hier kann man einfach die Packlisten der Container aufaddieren. Dabei kam man letztes Jahr auf ein Handelsdefizit der USA mit der Welt von 811 Milliarden Dollar. [2] Schwieriger wird es bei Dienstleistungen. Hier hatten die USA letztes Jahr einen Überschuss von 242 Milliarden Dollar. [2] Doch auch diese Zahl sagt mehr über die Erfassungsmethodik als über den tatsächlichen Handel mit Dienstleistungen aus. Nicht erfasst werden etwa die vielen ausländischen Studenten an US-Universitäten. Dabei handelt es sich hier um die Dienstleistung ‚Bildung‘ für Kunden aus dem Ausland. Oder zurück zum iPhone: Dessen Entwickler sitzen bekanntlich in Kalifornien. Jedes Update für einen Kunden ausserhalb der USA ist daher ein Export der Dienstleistung ‚Softwareentwicklung‘. Nur erfasst wird es so nicht, da Apple aus Steuergründen seine Verkäufe im US-Ausland über eine irische Tochterfirma laufen lässt.
Richtig mysteriös wird es allerdings, wenn man die US-Leistungsbilanz betrachtet. Diese umfasst den Handel mit Gütern und Dienstleistungen, Überweisungen von Immigranten in ihre Heimatländer sowie Zins- und Dividendeneinnahmen. Hier hatten die USA letztes Jahr ein Defizit von 466 Milliarden oder 2,4 BIP-Prozenten. [3] Was bedeutet das? Wer mehr Geld ausgibt als er einnimmt, braucht entweder seine Ersparnisse auf oder leiht sich Geld. Gemäss Statistik tun die USA das seit Jahrzehnten und müssten einen riesigen Schuldenberg angehäuft haben und entsprechend viel für Zinsen zahlen. Doch das tun sie nicht, wie die Ökonomen Ricardo Hausmann und Federico Sturzenegger bereits in einer Studie aus dem Jahr 2006 gezeigt haben. [4] Hausmann hat die damaligen Zahlen nochmal aktualisiert [5]: Im Jahr 1999 haben die USA mit Zinsen und Dividenden elf Milliarden Dollar eingenommen. Bei einem Zinssatz von vier Prozent entspricht das einem Vermögen von 275 Milliarden. Seither haben sie Leistungsbilanzdefizite von 9‘400 Milliarden Dollar angesammelt. Folglich müssten die USA jetzt 9‘100 Milliarden Dollar Schulden haben. Mit einem Zinssatz von wieder vier Prozent müssten sie dafür 364 Milliarden Dollar an Zinsen bezahlen. (Die US-Statistik weist per Ende 2017 Nettoschulden von 7,846 Milliarden aus. [6])

Hausmanns Antwort: „Dunkle Materie“. Mit diesem Kunstgriff lösen Astronomen einen vermeintlichen Widerspruch in ihren Berechnungen. Eigentlich drehen sich Galaxien zu schnell, um von der Anziehungskraft der sichtbaren Masse zusammen gehalten zu werden. Ihr Schluss: Es muss im All grosse Mengen an unsichtbarer Masse oder eben Dunkle Materie geben. Übertragen auf die Leistungsbilanz heisst das: Es gibt einen Vermögenswert, der Zins- und Dividendeneinkommen generiert, aber bislang nicht erfasst wird. Hausmann verortet diesen Wert in Technologien von US-Konzernen, die im Ausland genutzt werden. „Wir können die Dunkle Materie im ausserordentlichen Wert erkennen, der von den internationalen Aktivitäten von Amazon, Apple, Facebook, Google, Hollywood und Uber herrührt, aber unzureichend als Export von Gütern und Dienstleistungen erfasst wird.“ [5] Wären diese Statistiken besser, sähe das Resultat gemäss Hausmann ganz anders aus: „Wenn man die Dunkle Materie mitberücksichtigt, dann gibt es kein US-Defizit gegenüber der Welt.“ mic
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[1] Reuters, 21.03.2018: Designed in California, made in China: how the iPhone skews U.S. trade deficit
[2] BEA, Stand 05.04.2018: Table 1. U.S. International Trade in Goods and Services (Excel)
[3] BEA, 21.03.2018: U.S. International Transactions: Fourth Quarter and Year 2017 (PDF)
[5] Project Syndicate, 28.03.2018: The Dark Matter of Trade
[6] BEA, 30.03.2018: U.S. Net International Investment Position Fourth Quarter and Year 2017 (PDF)
[7] BEA, 21.03.2018: Table 4. U.S. International Transactions in Primary Income (Excel)
[8] Hausmann benutzt in seinem Artikel [5] die Zahlen für die ersten neun Monate des Jahres 2017. Mittlerweile sind aber vorläufige Zahlen für das ganze Jahr verfügbar. Diese lassen sich wie folgt aus Tabelle [7] extrahieren:Man subtrahiere von den ‘Primary income receipts’ in Zelle D8 die ‘Compensation of employees’ in Zelle D29. Damit erhält man die US-Vermögenseinkommen aus Auslandsinvestitionen. Anschliessend muss man von den ‘Primary income payments’ in Zelle D30 wieder die ‘Compensation of employees’ in Zelle D49 abziehen. Damit erhält man die Vermögenseinkommen von US-Ausländern aus Investitionen in den USA. Die Differenz dieser beiden Zahlen, also die ‘Bilanz der Vermögenseinkommen’, beträgt schliesslich 231,4 Milliarden Dollar.