Juncker will neuen Schwung für TTIP

Noch liegen die Positionen in vielen Bereichen weit auseinander

In sechs Monaten soll zumindest eine Grundsatzeinigung bei TTIP stehen. Angesichts der sehr unterschiedlichen Positionen erscheint dies aber fraglich.

„Nach dreijährigen Verhandlungen wird das ‚Skelett‘ von TTIP sichtbar.“, sagt Iana Dreyer von Boderlex, einer Spezialpublikation für Handelspolitik. „Noch ist aber nicht genug Fleisch an den Knochen, damit der Deal dieses Jahr machbar wäre.“ [1] Doch genau das ist das Ziel. Ansonsten könnte sich das Handelsabkommen um Jahre verzögern, da in Deutschland und Frankreich nächstes Jahr gewählt wird. Um den Verhandlungen neuen Schwung zu geben, will der Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, dass die EU-Regierungschef bei ihrem Treffen am Wochenende das Verhandlungsmandat erneut bekräftigen. Noch ist aber unklar, ob er sich damit durchsetzen kann.

Handelskrieg. Im Jahr 1990 hat Dänemark beantragt, Glockenblumen in die USA zu exportieren. Leider ist das 'Ungeziefer Risiko Assessment' noch nicht abgeschlossen. Umgekehrt haben US-Glockenblumen freien Zugang zum EU-Markt. (Foto: El Grafo / Wikipedia)
Handelskrieg. Im Jahr 1990 hat Dänemark beantragt, Glockenblumen in die USA zu exportieren. Leider ist das ‘Ungeziefer Risiko Assessment’ noch nicht abgeschlossen. Umgekehrt haben US-Glockenblumen freien Zugang zum EU-Markt. (Foto: El Grafo / Wikipedia)

Wo die Verhandlungen stehen ist relativ gut bekannt. Zum einen hat die EU-Kommission begonnen, ihre Positionspapiere zu den verschiedenen Kapiteln zu veröffentlichen. Dieser Schritt sei „ziemlich revolutionär.“, sagt Alberto Alemanno von der Pariser Universität HEC. [2 s. S. 9] Zum anderen hat die Umweltorganisation Greenpeace rund die Hälfte der Verhandlungsunterlagen vor einigen Wochen ins Internet gestellt. [3] Damit sind nun auch viele US-Positionen bekannt. Für Alemanno geben die duchgestochenen Dokumente keinen Grund zur Sorge: „Es gibt keinen Beweis, dass die EU bereit ist nachzugeben bei US-Forderungen nach einer Lockerung beim Konsumentenschutz, der Nahrungsmittelsicherheit oder beim Umweltschutz.“ [2 s. S. 6] Im Gegenteil: „Der EU-Vorschlag zum Regulierungskapitel setzt klar voraus, dass das gleiche oder ein höheres Schutzniveau erreicht wird.“ [2 s. S. 6]

Was die Dokumente hingegen zeigen, ist wie weit die EU und die USA in vielen Fragen noch auseinander sind. So schreibt die EU, die Verhandlungen über Nahrungsmittelsicherheit seinen „mühsam“. [4 s. S. 12] Die Positionen bei Kosmetika seien „unvereinbar“. [4 s. S. 13] Die Verhandlungen über technische Geräte seien „geprägt, durch die anhaltende Zurückhaltung der US-Seite zu verhandeln“. [4 s. S. 16] Ausserdem zeigen die Dokumente, wie stark unterschiedliche Kapitel miteinander verknüpft werden: Die EU will nur über Zollsenkungen von Chemikalien reden, wenn die USA den Export von Flüssiggas erleichtern. Oder: „Fortschritt zu Autoteilen sei nur möglich, wenn die EU Fortschritte bei den Agrarzöllen zeigt.“, liessen die US-Verhandler wissen. [4 s. S. 4] Umgekehrt will die EU nur dann über Agrarzölle reden, wenn die USA Zugeständnisse bei den geografischen Herkunftsbezeichnungen machen (Stichwort: Schwarzwälder Schinken).

Überhaupt Agrargüter: Hier wurde ein absurd anmutender Briefwechsel bekannt. Anthony Gardner, der US-Botschafter in Brüssel, hat sich in einem Brief an seine Kollegen aus den EU-Ländern über EU-Agrarkommissar Phil Hogan beschwert. [5] Dort schreibt er: „Die EU exportiert doppelt so viele Agrarprodukte nach Amerika (25,7 Milliarden Dollar) als die USA nach Europa schickt (12,9 Milliarden Dollar).“ Daraufhin konterte Hogan [6]: „Die EU exportiert hochwertige Produkte.“ Der EU-Exportüberschuss „reflektiert die Nachfrage der US-Konsumenten“ während die USA „standartisierte Rohstoffe“ exportiere. Gardner beklagt sich auch über das Handelsdefizit bei Käse: „Wir exportieren weniger Käse nach Europa als nach Trinidad und Tobago!“ Und stellt klar: „Nein, das ist nicht weil niemand in der EU amerikanischen Käse mag!“ Darauf kontert Hogan, dass US-Käse den EU-Auflagen nicht genügt, so wie Hormonfleisch und Chlorhühnchen. „Dies sind Anforderungen, die für alle Importe gelten, und keine Handelshemnisse. Andere Lieferanten wie Brasilien oder Thailand halten sich einfach daran.“

Mhh, amerikanischer Käse. Ob die US-Exporte steigen würden, wenn die US-Hersteller EU-Normen einhielten, scheint zweifelhaft. (Foto: Kraft / Flickr)
Mhh, amerikanischer Käse. Ob die US-Exporte steigen würden, wenn die US-Hersteller EU-Normen einhielten, scheint zweifelhaft. (Foto: Kraft / Flickr)

Einfacher scheint da die Zusammenarbeit im Pharmabereich zu sein. Im Rahmen der TTIP-Verhandlungen haben sich die US-Arzneimittelbehörde FDA und das EU-Gegenstück EMA besser kennengelernt. Nun vertrauen sie sich so sehr, dass sie bereit sind, die Inspektion von Pharmafirmen gegenseitig anzuerkennen – auch ohne TTIP. „Wir versuchen Alles, um noch dieses Jahr Erfolg zu haben.“, sagte Dara Corrigan von der FDA. [7] Dass dies auch in den anderen TTIP Kapiteln gelingt, bleibt derweil fraglich.

 

Was heisst schon ‚frei‘?

Freie Märkte beruhen of auf Verträgen: Die EU hat derzeit 40 Freihandelsabkommen ausgehandelt, von denen 32 in Kraft sind. Damit deckt die EU insbesondere ihre Nachbarschaft ab: den Balkan, Osteuropa und die Länder rund ums Mittelmeer. Weitere Abkommen bestehen etwa mit Mexiko, Südafrika und Südkorea. Derzeit werden 14 Abkommen ausgehandelt. Oft liegen die Verhandlungen aber auf Eis etwa die mit Indien, den Asean Ländern oder den Golfstaaten. Konkret verhandelt wird vor allem mit den USA und Japan. Fast unterschriftsreif sind ausserdem die Abkommen mit Kanada und Vietnam. Nächstes Jahr sollen ausserdem Verhandlungen mit Australien und Neuseeland beginnen. Mit einigen Entwicklungsländer verhandelt die EU schliesslich Partnerschaftsabkommen. Zuletzt wurde ein Vertrag mit der südafrikanischen Zollunion unterzeichnet.

Es gibt aber nicht nur Freihandelsabkommen mit einem geografischen Bezug, sondern auch güterspezifische. Letztes Jahr wurde das Abkommen über Güter der Informationstechnologie (ITA) erneuert. Weit fortgeschritten sind auch die Verhandlungen über ein Abkommen zu Umweltgütern (EGA) wie Windräder und Solarzellen und ein Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA). Beide könnten dieses oder nächstes Jahr abgeschlossen werden. Unklar ist hingegen in welche Richtung sich die Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO entwickeln werden. Diese hat in den letzten Jahren Erfolge beim Abbau der Bürokratie im Handel und bei den Exportsubvention für Agrargüter erzielt. Über das weitere Vorgehen besteht jedoch Dissens. mic

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[1] Borderlex, 01.06.2016: Is it technically possible to conclude TTIP in 2016 ?

[2] Alberto Alemanno in European Journal of Risk Regulation, 2016: What the TTIP Leaks Mean for the On-going Negotiations?

[3] Greenpeace, Stand 23.06.2016: TTIP-Leaks

[4] EU, März 2016: Note – Tactical State of Play of the TTIP Negotiations (PDF)

[5] Anthony Gardner, 25.05.2016: Brief an EU Perm Reps (PDF)

[6] Phil Hogan, 27.05.2016: TTIP – US Ambassador’s note to EU Perm Reps (PDF)

[7] Politico, 02.06.2016: Pharma deal with or without TTIP