Der Investitionsgerichtshof wird zum Exportschlager

Immer mehr Länder interessieren sich für europäische Alternative zu Schiedsgerichten

Streit zwischen Investoren und einem Staat wird oft von Ad-Hoc aufgestellten Schiedsgerichten entschieden. Doch seit den TTIP Verhandlungen sind diese umstritten. Daher will die EU nun einen permanenten Gerichtshof. Dieser stösst in vielen Ländern auf Interesse – ausser in den USA.

Wenn Unternehmen im Ausland nach Investitionschancen suchen, sind Entwicklungsländer oft im Nachteil. Ihre staatlichen Institutionen sind weniger gefestigt, das Rechtssystem zumindest in den Augen westlicher Manager fragwürdig und die Infrastruktur lückenhaft. Um einen Teil dieser Nachteile auszugleichen schloss Deutschland im Jahr 1959 mit Pakistan das erste Bilaterale Investitionsabkommen BIT ab. Seither ist die Zahl dieser Abkommen explodiert. Heute gibt es laut Weltbank mehr als 3000 derartige Verträge. [1 s. S. 51] Ein Grossteil davon enthält auch Regeln, wie im Streitfall vorzugehen ist: Meist erhalten hier ausländische Firmen die Möglichkeit das Gastland vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen.

Alternative Streitbeilegung. Bei Streitigkeiten ywischen Investoren und Staaten ist oft nicht klar, wer David und wer Goliath ist. (Bild: Titian / Wikipedia)
Alternative Streitbeilegung. Bei Streitigkeiten ywischen Investoren und Staaten ist oft nicht klar, wer David und wer Goliath ist. (Bild: Titian / Wikipedia)

Vor Beginn der Verhandlungen über die Transatlantische Investitions- und Handelspartnerschaft TTIP waren diese Schiedsgerichte in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Dies liegt auch an der geringen Zahl der Fälle. Die UN Konferenz für Handel und Entwicklung Unctad hat eine Datenbank mit Schiedsgerichtsverfahren. [2] Seit 1959 wurde weltweit 696 mal ein Schiedsgericht angerufen. Deutsche Unternehmen haben in dieser Zeit 51 mal einen ausländischen Staat verklagt (siehe Tabelle). Umgekehrt wurde Deutschland in den 57 Jahren drei Mal vor ein Schiedsgericht bestellt. Offen ist heute nur noch ein Fall: Der schwedische Energiekonzern Vattenfall will Schadensersatz wegen des deutschen Atomausstiegs.

Deutsche Firma verklagt ausländischen Staat (1959 bis Heute)
Stand des VerfahrensAnzahl Fälle
Offene Fälle20
Aussergerichtliche Einigung3
Investor gewinnt9
Staat gewinnt15
Verfahren abgebrochen / Resultat unbekannt4
Total51
Ausländische Firma verklagt Deutschland (1959 bis Heute)
Stand des VerfahrensAnzahl Fälle
Offene Fälle1
Aussergerichtliche Einigung2
Investor gewinnt
Staat gewinnt
Verfahren abgebrochen / Resultat unbekannt
Total3
Schweizer Firma verklagt ausländischen Staat (1959 bis Heute)
Stand des VerfahrensAnzahl Fälle
Offene Fälle7
Aussergerichtliche Einigung6
Investor gewinnt4
Staat gewinnt3
Verfahren abgebrochen / Resultat unbekannt3
Total23
Ausländische Firma verklagt die Schweiz (1959 bis Heute)
Stand des VerfahrensAnzahl Fälle
Offene Fälle
Aussergerichtliche Einigung
Investor gewinnt
Staat gewinnt
Verfahren abgebrochen / Resultat unbekannt
Total0

Doch das Zeitalter der Schiedsgerichte könnte sich nun dem Ende zuneigen. Im Rahmen der TTIP Verhandlungen kristallierte sich das Investitionskapitel schnell als der kontroverseste Teil des Abkommens heraus. Die Hauptkritikpunke an den Schiedsgerichten sind: Das Fehlen einer Berufungsinstanz. Die Auswahl der ‚Schiedsrichter‘ und die Bevorzugung ausländischer Firmen, da inländische keinen Zugang zu diesen Gerichten haben. Ausserdem befürchten viele Kritiker, dass sich Länder nicht mehr getrauen Regeln zum Schutz der Umwelt oder der Konsumenten zu erlassen, aus Angst von einem Schiedsgericht zu Schadensersatz verurteilt zu werden. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström setzte daher die Verhandlungen über das Investitionskapitel zeitweise aus.

Diese Zeit hat sie genutzt, um ein neues Modell zu entwickeln: einen Investitionsgerichtshof. Dieser soll permanent bestehen und nicht Ad-Hoc zusammengestellt werden. Zudem soll er über eine Berufungsinstanz verfügen. Für den Handelsspezialisten Sebastian Dullien ist das neue Modell daher ein „Quantensprung“. Mittlerweile haben sich auch schon zwei Länder gefunden, die diesen Gerichtshof den Schiedsgerichten vorziehen: Vietnam und Kanada. Mit beiden Ländern hat die EU die Verhandlungen über ein Handelsabkommen abgeschlossen, dieses aber noch nicht ratifiziert. Im Ceta Abkommen mit Kanada sind zudem weitere Regeln für Investitionstreitigkeiten festgelegt: „Es ist klar definiert, was Begriffe wie ‚indirekte Enteignung‘ und ‚fair and equitable treatment‘ (faire und gleiche Behandlung) bedeuten, die in früheren Fällen oft absurd weit ausgelegt worden sind.“, erklärt Dullien. Ausserdem sei „das Recht auf sinnvolle Regulierung festgeschrieben“. Trotzdem ist Dullien zumindest im Hinblick auf Kanada weiter kritisch: „Das Grundproblem bleibt: Wir schaffen eine Sonderjustiz für ausländische Investoren. Da sowohl Kanada als auch die EU entwickelte und funktionierende Rechtssysteme haben, sehe ich nicht, wofür wir überhaupt diese Zusatzebene brauchen.“

Trotzdem stösst das neue Modell auf weltweites Interesse. Südkorea hat sich in Brüssel erkundigt, ob das EU-Südkorea Abkommen nicht um den Investitionsgerichtshof ergänzt werden kann. Mexiko und die Philippinen wollen das neue Modell im Rahmen der laufenden Freihandelsverhandlungen mit der EU wohlwollend prüfen. Und Singapur ist bereit, das fertig ausgehandelte (aber noch nicht ratifizierte) Abkommen mit der EU nochmal aufzuschnüren. Ein Investitionsgerichtshof könnte aber nicht nur im EU-Aussenhandel sondern auch im EU-Binnenmarkt zum Einsatz kommen. Zwischen EU-Ländern bestehen ebenfalls viele BITs, aber es gibt keine einheitliche Regelung wie bei Streit zwischen einem EU-Land und einem Investor aus einem anderen EU-Land verfahren werden soll. Deutschland und vier weitere EU-Länder schlagen daher vor die existierenden Intra-EU BITs abzuschaffen und durch einen Investitionsgerichtshof zu ersetzen. [3] Dann bleiben nur noch die USA. Dullien ist aber skeptisch, dass sich diese schnell vom Gerichtshof-Modell überzeugen lassen: „Der US-Kongress, der am Ende TTIP ratifizieren muss, hat in der Vergangenheit immer enorme mentale Schwierigkeiten gehabt, ein internationales Gericht über US-Gerichte oder die US-Regierung zu stellen. Ich würde deshalb davon ausgehen, dass die USA einem solchen Mechanismus, wie er nun im CETA-Text steht, zumindest mit großen Vorbehalten begegnen würde.“ mic

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[1] Weltbank, 2016: ICSID Annual Report 2015 (PDF)

[2] Unctad, Stand 13.06.2016: Investment Dispute Settlement Navigator

[3] Deutschland et al., 07.04.2016: Intra-EU Investment Treaties/Non-paper from Austria, Finland, France, Germany and the Netherlands (PDF)