„Die ganze Welt schaut auf Europa“

Die EU tritt bei den Klimaverhandlungen in Cancun mit einer grundüberholten Verhandlungsstrategie an

Christoph Bals, 50, der politische Direktor des deutschen Think Tanks Germanwatch, ist ein langjähriger Beobachter der Klimaverhandlungen.

Das US Klimagesetz ist gescheitert und im Repräsentantenhaus haben die Republikaner die Macht übernommen. Was kann man unter diesen Umständen bei den Klimaverhandlungen in Cancun noch erreichen?

Die US Regierung sagt, dass sie ihre Verpflichtungen aus Kopenhagen einhalten will, sowohl bei den Emissionsreduktionen als auch bei der Finanzierung. Wenn diese freiwilligen Selbstverpflichtungen aus Kopenhagen nun formell festgehalten werden, wäre das eine ganze Menge. Falls sich China bewegt, könnte es auch sein, dass die USA sogar einen Verhandlungsprozess für ein rechtlich verbindliches Abkommen akzeptieren. Wesentlich mehr werden wir von Washington aber nicht bekommen.

Um ein internationales Abkommen zu ratifizieren braucht es im US Senat 67 von 100 Stimmen. Halten Sie es da für möglich, dass der Senat einem Klimaabkommen zustimmt?

Nein, das ist ausgeschlossen. Denkbar ist aber, dass es so läuft wie beim Kyoto Protokoll, bevor Präsident Bush dann ganz ausgestiegen ist. Die USA würden in diesem Fall das Abkommen unterzeichnen und damit deutlich machen: ‚Wir wollen es einhalten’, aber ohne es zu Hause zu ratifizieren. Wichtig wäre dann aber ein entsprechendes nationales Klimagesetz, und dazu reichen 60 Prozent der Stimmen.

Aber macht China dann noch mit?

Nur wenn China einen grossen ökonomischen Nutzen darin sieht. China stellt sich derzeit so gut auf bei der Industrieentwicklung im Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz, dass China in einigen Jahren der grosse Gewinner von einem internationalen Klimaabkommen sein würde. China versucht derzeit die Tausenden Unternehmen in diesem Bereich in sechs Industriekonglomerate zusammenzuziehen und damit eine starke Rolle auf dem Weltmarkt zu spielen. Das würde ich als den stärksten Treiber für Chinas Akzeptanz eines internationalen Abkommens sehen. Mir ist aber noch nicht klar, wann in China die Entscheidung fällt: ‚Ab jetzt ist das in unserem Interesse’.

Vor einigen Tagen hat China gesagt, dass es internationale Kontrollen seiner Emissionen aus Prinzip ablehnt. Wer kann Peking da umstimmen?

Um China umzustimmen, ist die Entwicklung in den USA sicher nicht förderlich. Die nötigen Verhandlungschips haben hier aber vor allem andere Entwicklungsländer, die sagen: ‚Nur so können wir zu einem Klimavertrag kommen’. Dazu gehören insbesondere Südafrika und Brasilien. Südafrika hat kein Interesse, dass der Klimagipfel in Durban im Jahr 2011 wegen China scheitert. Und Brasilien hat ein Interesse daran, dass der ‚Rio plus 20 Gipfel’ im Jahr 2012 ein Erfolg wird. Dazu kommt dann noch der Druck der besonders verletzlichen Staaten in Afrika oder dem Pazifik. Wenn China die Gruppe der ‚G77 plus China’ zusammenhalten will, darf es nicht den Eindruck erwecken, dass ein Abkommen an China scheitert.

Wird die Verhandlungsgruppe der Entwicklungsländer, die ‚G77 plus China’ Gruppe, bestehen bleiben? Länder wie Singapur, Simbabwe und Saudi Arabien haben sehr unterschiedliche Interessen.

Die Spannungen in diesem Block werden von Monat zu Monat grösser. Ich glaube aber nicht, dass er auseinander fallen wird, sondern dass sich verschiedene Untergruppen immer deutlicher voneinander abgrenzen. Sie werden zwar formal erklären: ‚Wir unterstützen das Statement von G77 plus China’, aber zum Teil dann im eigenen Statement das genaue Gegenteil sagen.

Hinsichtlich der Emissionskontrolle hat Indien einen eigenen Vorschlag vorgelegt, der dem amerikanischen Vorschlag gleicht. Wechselt Indien die Seite?

Ich sehe nicht, dass die Inder auf die USA zugegangen sind. Die Inder sind bereit ein kleines Stückchen weiter zu gehen als die Chinesen. Ob Indien dabei in Abstimmung mit der EU, den USA oder Südafrika vorgegangen ist, muss man jetzt aber erstmal sehen. Was sollen sie von den USA im Gegenzug denn bekommen haben?

Zum Beispiel die Zusage, dass die USA Indiens Anspruch auf einen Sitz im UN Sicherheitsrat unterstützen.

Wenn man es in einen grösseren geostrategischen Rahmen reinstellt, dann kann das Sinn machen. Diese Fragen spielen immer mehr in die Klimadebatte hinein. Wenn man das nicht berücksichtigt, kommt man zu keinem positiven Ergebnis. Aus Indiens Sicht stellt sich langfristig die Frage, ob es eher mit China in einem Boot bleiben will oder ob es den regionalen Konkurrenten mit einem ‚Block der Demokratien’ herausfordert. Hier könnten die Klimaverhandlungen ein Testfeld sein. Man könnte das Vorgehen des indischen Umweltministers so interpretieren. Aber es ist mir unklar, ob dies so ist, und wenn, ob es eine Position der Gesamtregierung ist.

Bei den Abschlussverhandlungen in Kopenhagen blieb die EU aussen vor. Was muss sie nun besser machen?

Die EU muss versuchen, Koalitionen zu bilden, muss testen, mit welchen Akteuren man Dynamik erzeugen kann. Da schaut im Moment die ganze Welt auf Europa. Die USA haben sich selber ins Abseits manövriert. Japan ist im Moment nur begrenzt handlungsfähig. Russland kommt für die meisten Akteure nicht wirklich in Frage. Australien könnte auch eine wichtige Rolle spielen. Die Schlüsselrolle müssen aber die EU, die Schweiz und Norwegen übernehmen.

Aber in Kopenhagen hat die EU doch sicher auch versucht Koalitionen zu bilden, wenn auch ohne Erfolg.

Nein, sie hat es eigentlich nicht versucht. Sie hat in Kopenhagen mit Tunnelblick auf die ganz grossen Akteure, vor allem die USA und China geschaut. Aber sie hat die Koalitionsbildung mit anderen Gruppen sträflich vernachlässigt.

Heisst das, die EU hat in Cancun eine andere Strategie als in Kopenhagen?

Wenn man sich anschaut, wie die EU derzeit mit verschiedenen Akteuren strategische Partnerschaften diskutiert, dann ist das ein ganz anderer strategischer Ansatz als vor Kopenhagen. Vor allem Grossbritannien und Deutschland spielen hier eine wichtige Rolle. Und im Regenwaldbereich bringen Frankreich und Norwegen die Bildung von Koalitionen voran. Ausserdem sind die EU-Kommission und einige Einzelstaaten beim ‚Cartagena Dialog’ dabei, der sowohl Industrie- wie auch Entwicklungsländer umfasst. Ich erwarte, dass sich diese Länder in Cancun alle zwei bis drei Tage zu strategischen Absprachen treffen. Die Mitglieder des ‚Cartagena Dialogs’ werden nicht formal eine eigene Verhandlungsgruppe bilden, aber man wird sich sehr eng untereinander abstimmen und gemeinsame Vorschläge vorlegen.

Und was macht die Schweiz, die beim Cartagena Dialog nicht mit dabei ist?

Die Schweiz engagiert sich im Rahmen der Environmental Integrity Group, der einzigen offiziellen Verhandlungsgruppe, die Industrie- und Entwicklungsländer umfasst. Die Schweiz hat also schon vor dem ‚Cartagena Dialog’ eine derartige Koalition aufgebaut und hat mit Südkorea und Mexiko auch sehr engagierte Partner.

Erstreckt sich die neue Verhandlungsstrategie der EU auch auf die Einstellung zum Kyoto Protokoll? In Kopenhagen hat die EU darauf gesetzt, das Kyoto Protokoll durch einen einheitlichen Vertrag für die Industrie- und Entwicklungsländer zu ersetzen. Dafür wurde sie von den Entwicklungsländern scharf kritisiert.

Dieses Jahr ist die Einsicht gereift, dass das ein riesengrosser strategischer Fehler war. Dafür hat die EU ja auch einen Gutteil des schwarzen Peters für das Scheitern in Kopenhagen bekommen. Diesen Fehler hat man jetzt korrigiert und ist bereit unter gewissen Voraussetzungen beim Kyoto Protokoll zu bleiben.

Alles in allem scheinen Sie recht optimistisch, dass in Cancun nennenswerte Fortschritte erzielt werden, oder?

Den grossen Wurf wird es nicht geben. Aber nach den Diskussionen beim Pre-COP, einer Ministerkonferenz im Vorfeld, halte ich es für realistisch, dass in Cancun wichtige Entscheidungen getroffen werden, die die erstaunliche Dynamik nach Kopenhagen in verschiedenen Teilen der Welt spiegelt – und Grundlage für weitere Dynamik sein kann. Trotzdem ist ein Scheitern eine ernsthafte Möglichkeit. In diesem Fall würden die UN Verhandlungen an Bedeutung verlieren.

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