Ein europäischer Stromverbund wäre am billigsten

McKinsey schätzt Zusatzkosten von nationalen Alleingängen auf 15 bis 35 Prozent

Die Regierung hat mit ihrem Energiekonzept einen „gesellschaftlichen Grosskonflikt“ wieder zum Leben erweckt, meint der Fraktionschef der Grünen im Bundestag Jürgen Trittin. Zu besichtigen war der Konflikt letzten Samstag in Berlin, wo 40 000 bis 100 000 Menschen gegen die Laufzeitverlängerung für die deutschen Atommeiler demonstriert haben. Dabei steht das erste Opfer dieses Konflikts jetzt schon fest, egal wer sich schliesslich durchsetzen wird: Es ist die Diskussion um das Energiekonzept, denn der Atomstreit überdeckt alle anderen Fragen.

Auf eine dieser Fragen weist nun die Unternehmensberatung McKinsey mit einer neuen Studie hin (Transformation of Europe’s power system until 2050): die europäische Dimension der deutschen Energieversorgung. McKinsey hat dazu drei Szenarien durchgerechnet (siehe Tabelle): Ein „Clean“ Szenario, wo die CO2 Emissionen der Stromerzeugung um 95 Prozent bis 2050 reduziert werden; ein „Green“ Szenario wo zusätzlich 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt und ein „Lean“ Szenario ohne Vorgaben hinsichtlich CO2 Reduktion und Energiequellen. Wie zu erwarten ist das Lean Szenario, das weitgehend auf billigem aber dreckigem Kohlestrom beruht, am günstigsten und das Green Szenario am teuersten, da es nicht nur eine Emissionsvorgabe macht sondern auch eine Vorgabe über den Anteil an Strom aus erneuerbaren Quellen.

Szenario

Annahmen

Minimale Kosten für das gesamte Energiesystem (EU Stromverbund)

Kommentar

Lean

– Umsetzung der europäischen Energie- und Klimaziele bis 2020 aber keine Annahmen über 2020 hinaus

5700 Milliarden Euro

– Die Treibhausgasemissionen gehen nicht im erforderlichen Mass zurück, um den Klimaerwärmung auf zwei Grad begrenzen zu können.

Clean

– Reduktion der CO2 Emissionen in der Stromerzeugung um 95 Prozent bis 2050

6250 Milliarden Euro

– Je rund die Hälfte des Stroms wird mit Erneuerbaren und mit Atomkraftwerken erzeugt.

Green

– Reduktion der CO2 Emissionen in der Stromerzeugung um 95 Prozent bis 2050

– 80 Prozent der Stromerzeugung aus Erneuerbaren

6600 Milliarden Euro

– Die Kapazität des europäischen Stromnetzes wird verfünffacht.

– Das Wüstenstromprojekt Desertec wird wie geplant umgesetzt, sonst steigen die Kosten um weitere 300 bis 400 Milliarden Euro

Doch Europa bewegt sich auf keinem der drei kostenoptimalen Pfade, die die Unternehmensberater ausgerechnet haben. Der Grund: Um Europa möglichst günstig mit Strom zu versorgen, müssten die europäischen Länder zusammenarbeiten. Dies gilt umso mehr, je mehr Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne generiert werden soll. Für Windkraft sind Küstenregionen ideal und für Solarenergie die Länder Südeuropas und Nordafrikas. Ausserdem müssen die Pumpspeicherkraftwerke in Norwegen und der Schweiz in das europäische Stromnetz als Energiespeicher eingebunden werden. Voraussetzung für die Umsetzung einer „kostenoptimalen“ europäischen Stromversorgung ist denn auch eine Verfünffachung der Kapazität der Übertragungsnetze. Ausserdem setzt McKinsey voraus, dass das Wüstenstromprojekt Desertec umgesetzt wird. Dies erfordert den Bau von Wind- und Solarkraftwerken in der Sahara und die Verlegung von Stromkabeln durchs Mittelmeer. Während Desertec im Plan liegt und bald mit dem Bau eines ersten Kraftwerks in Marokko begonnen werden soll, hinkt der Netzausbau aber hinter den Erfodernissen her: „Aktuelle Pläne für den Netzsausbau decken nur die Hälfte der erfoderlichen Kapazitätssteigerung ab, was beweist, dass Europa signifikant vom kostenoptimalen Pfad abweicht.“ schreibt McKinsey. Und das Fazit der Berater deutet denn auch auf deutliche höhere Stromkosten hin: Die Zusammenarbeit innerhalb der EU „wäre kostenoptimal, scheint aber kurz- und mittelfristig nur eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit zu haben.“

Die mangelnde Kooperation wird die Europäer teuer zu stehen kommen, warnt McKinsey: Wenn sich die 27 EU Staaten 27 verschiedene Energie- und Klimapolitiken leisten, dann steigen die Kosten für das Gesamtsystem um 15 bis 35 Prozent. Bis 2050 sind das zusätzliche Kosten von bis zu 2000 Milliarden Euro oder rund 80 Prozent des deutschen BIPs. Ein Grund, warum die Berater einer engeren europäischen Zusammenarbeit nur eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit attestieren, ist die deutliche Verschiebung zwischen Stromimporteuren und –exporteuren. Während Deutschland heute noch zu den Stromexporteuren zählt, wird es im EU Verbund rund die Hälfte des Stroms importieren müssen. Denn bis 2050 wird auch mit der jetzt diskutierten Laufzeitverlängerung kein deutsches Atomkraftwerk mehr am Netz sein und die Menge an kostengünstigem Strom aus erneuerbaren Quellen ist in Deutschland begrenzt. Um dennoch eine sichere Stromversorgung garantieren zu können, müsste sich Deutschland daher an die Spitze der Bewegung zur Schaffung eines EU Stromverbunds stellen und dafür sorgen, dass in anderen Ländern genügend Kraftwerke und Stromleitungen gebaut werden, schreibt McKinsey. Deutschland steht also vor der Wahl: Die europäische Lösung ist am billigsten, dafür bringt sie die grösste Abhängigkeit von den Nachbarn. Schade, dass diese Frage nicht ebensoviel Interesse weckt wie die Atomlaufzeiten.

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