Wenn Urwald gerodet wird um Biosprit herzustellen ist der Schaden grösser als der Nutzen
Eigentlich ist es ganz einfach: Wenn Pflanzen wachsen, filtern sie CO2 aus der Luft. Sie benutzen das C, den Kohlenstoff, zum Wachsen und geben die beiden O, den Sauerstoff, wieder an die Luft ab. Verbrennt man nun die Pflanze oder nutzt sie zur Herstellung von Biosprit dann wird wieder CO2 frei, das CO2 das die Pflanze zuvor aus der Luft gefiltert hat. Der Kreislauf ist also klimaneutral, da kein zusätzliches CO2 freigesetzt wird. Doch was im kleinen Massstab richtig ist, kann falsch sein, wenn eine Multimilliardenindustrie darauf beruht. Denn im grossen Massstab kommen weitere, indirekte Effekte hinzu.
Und genau das passiert beim Biosprit. Viele Länder, allen voran die EU und die USA, verpflichten die Mineralölkonzerne ihrem Benzin und Diesel Biosprit beizumischen. Damit haben sie einen gigantischen Markt geschaffen: Im Jahr 2007 kamen 1,8 Prozent des weltweiten Benzin- und Dieselverbrauchs nicht aus einem Bohrloch sondern vom Acker. Mittlerweile setzt die Biospritindustrie weltweit 76 Milliarden Dollar um und diese Zahl soll bis 2020 auf 247 Milliarden ansteigen. Doch gleichzeitig steigt der Bedarf nach Nahrungsmitteln. Wegen der steigenden Weltbevölkerung und zunehmendem Fleisch- und Milchkonsum in den grossen Schwellenländern muss die Nahrungsmittelproduktion bis 2030 um 50 Prozent steigen. Um nun die steigende Biosprit- und Nahrungsnachfrage befriedigen zu können, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man erhöht die Erträge pro Hektar Landwirtschaftsland oder man nimmt derzeit noch ungenutzte Flächen unter den Pflug. Doch das Potential für Ertragssteigerungen ist begrenzt und so erfordert die steigende Biospritproduktion die Umwandlung von Wald, Weide- oder Brachland in Ackerland. Dieser Effekt nennt sich „Indirekte Veränderung der Bodennutzung“ oder auf neudeutsch „Indirect Land Use Change“, abgekürzt ILUC.
Und ILUC hat es in sich, denn bei der Umwandlung von Wald in Ackerland wird CO2 freigesetzt. Eine Studie der Universität Minnesota kommt zum Schluss, dass durch die veränderte Bodennutzung 17 bis 420 mal mehr CO2 freigesetzt wird als durch die Verwendung von Biosprit eingespart wird. Im schlimmsten Fall muss man also 420 Jahre lang warten, bis der Anbau von Energiepflanzen tatsächlich einen positiven Einfluss auf das Klima hat. Jean-Luc Demarty, der Chefbeamte im EU Landwirtschaftsdepartement hat denn auch die Gefahr für die Biospritindustrie erkannt: Die Berücksichtigung von ILUC „würde Biosprit in der EU killen“ schrieb Demarty letzten Dezember einem Kollegen. Damit das nicht passiert, manipuliert das EU Landwirtschaftsdepartement wissenschaftliche Studien (siehe Artikel unten). Doch zum Glück gibt es in der EU noch andere Ressorts, denen der Kimaschutz wichtiger ist als Industrieinteressen. So schreibt der EU Energiekommissar Günther Öttinger auf eine Anfrage von Reuters: „Wir nehmen die indirekte Veränderung der Bodennutzung sehr ernst. Darum haben wir mehrere Studien in Auftrag gegeben. Wenn es sich bestätigt, dass es im Zusammenhang mit ILUC ein gravierendes Problem gibt, dann besteht die Möglichkeit die Gesetzgebung anzupassen.“ Das heisst konkret: Die EU könnte ihr Ziel aufgeben, bis 2020 sieben Prozent des Treibstoffverbrauchs durch Biosprit zu ersetzen. Damit wäre die Biospritindustrie tot.
Doch Biosprit ist oftmals nicht nur klimaschädlicher als Erdöl, sondern hat noch zwei weitere gravierende Nachteile: Er verteuert Lebensmittel und verbraucht enorme Mengen an Wasser.
- Hungerrevolten: Der massive Anstieg der Lebensmittelpreise im Jahr 2008 ist grösstenteils auf die Biospritproduktion zurückzuführen. Damals kam es in knapp 40 Ländern zu Hungerrevolten. Eine Weltbankstudie zeigt, dass Nahrungsmittel zwischen den Jahren 2000 und 2008 wegen der steigenden Biospritproduktion um 75 Prozent teurer geworden sind. Jean Ziegler hat damals die Subventionierung der Kraftstoffe vom Acker als „Verbrechen gegen die Menschheit“ bezeichnet.
- Wassermangel: Derzeit leben 500 Millionen Menschen in Gebieten mit Wasserknappheit. Diese Zahl wird sich bis 2050 auf vier Milliarden erhöhen. Der Getreidehandel wird dann zu einer indirekten Form des Wasserhandels. Da passt es schlecht, dass für die Herstellung von einem Liter Biobenzin 4560 Liter Wasser benötigt werden. Für den Nestlé Chef und Wasseraktivisten Peter Brabeck-Letmathe ist der Fall denn auch klar: „Die allgemeine Begeisterung für Biokraftstoffe ist ökologischer Wahnsinn.“
Doch weder die Lebensmittelpreise noch das Wasserproblem konnten bislang der „allgemeinen Begeisterung für Biokraftstoffe“ etwas anhaben. Denn diese beiden Faktoren, werden von der Klimapolitik nicht mitberücksichtigt. Anders ist es mit ILUC. Hier geht es um die Folgen fürs Klima, wenn auch um die indirekten. Und so könnte der EU Oberbauer Demarty tatsächlich Recht behalten: ILUC killt die Biospritindustrie. mic
EU Agrarressort verfälscht wissenschaftliche Studien
Das EU Agrardepartement kämpft mit harten Bandagen für Biospritindustrie
Europas Bauern sind im Biospritrausch. In der EU wurden 2008 knapp 10 Millionen Tonnen Biodiesel und Biobenzin hergestellt. Doch andernorts führt diese Art der Bodennutzung zur Abholzung der Regenwälder und Biosprit ist damit oft klimaschädlicher als Treibstoffe aus Erdöl (siehe Artikel oben). Doch davon will das EU Agrardepartement nichts wissen. Wenn möglich soll überhaupt niemand davon erfahren: Und so wurde etwa eine Studie des deutschen Fraunhofer Instituts entsprechend gekürzt, wie aus Emails hervorgeht, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegen. Vertreter des Landwirschaftsressorts haben eine Textstelle zensiert, die sagt, dass Biosprit aus Sojabohnen viermal klimaschädlicher sein kann normales Benzin aus Erdöl.
Bei einer anderen Studie wurde nicht der Abschlussbericht verfälscht, sondern die EU Beamten haben den Autoren unsinnige Annahmen vorgegeben. Die Studie des International Food Policy Research Institutes IFPRI kam denn auch zu einem für Biosprit vorteilhafteren Ergebnis als die bereits erwähnte Fraunhoferstudie. Doch das Ergebnis ist nur so zutreffend, wie die Annahmen, die man macht. So haben die EU Beamten den IFPRI Forschern gesagt, sie erwarteten, dass vom gesamten Biospritverbrauch 55 Prozent auf Biodiesel und 45 Prozent auf Biobenzin entfällt. In Wirklichkeit dürften 80 Prozent auf Biodiesel entfallen, wie einer der Autoren der Studie selber sagt. Der Trick: Biodiesel ist klimaschädlicher als Biobenzin. Geht man also von einem zu geringen Biodiesel Anteil aus, dann verbessert sich die Klimabilanz der Biotreibstoffe.
Aber die EU Agraradministration verfälscht nicht nur Studien zugunsten der Biospritlobby, sondern berät diese gar, wie sie am besten gegen die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgeht. Dies behauptet zumindest Reuters und beruft sich dabei auf zwei EU Quellen. Die Biospritlobby versucht derweil vom Thema abzulenken: „Niemand spricht über die indirekten Effekte der Ölförderung. Schauen Sie sich mal an, was im Golf von Mexiko passiert.“ sagt der Chef der europäischen Biodiesellobby Raffaello Garofalo.
„Ich finde es skandalös, dass die EU Kommission die wissenschaftlichen Studien versteckt, auf der die Klimapolitik beruht.“ sagt Tim Grabiel, von der auf Umweltrecht spezialisierten Anwaltskanzlei ClientEarth. „Wenn die Leute ihren Tank mit Biosprit füllen, haben sie ein Recht darauf zu wissen, ob sie so die Entwaldung auf der anderen Seite des Planeten fördern.“ Die Beamten im EU Agrarressort aber meinen, die Leute sollten, das besser nicht wissen. Denn sonst droht der Biospritrausch mit einem Biospritkater zu enden. mic
Die nächste Generation soll’s richten
Derzeit wird Biobenzin und Biodiesel noch aus Nahrungsmitteln hergestellt. Für die Herstellung von Biobenzin benutzt man Weizen, Mais, oder Rohr- und Rübenzucker während Biodiesel meist aus Soja-, Raps- oder Palmöl hergestellt wird. Dies sind die Biokraftstoffe der sogenannten „ersten Generation“. In Zukunft hofft man aber, Biosprit auch mit Landwirtschaftsabfällen, Holzresten, Stroh oder speziellen Energiepflanzen produzieren zu können – Biotreibstoffe der zweiten Generation. Und schliesslich erforscht man auch intensiv die Nutzung von Algen. Das wäre dann die dritte Generation. Doch dies wird noch eine Weile dauern. Der EU Plan zu Strategischen Energietechnologien erwartet, dass die für die zweite Generation erforderlichen Technologien erst zwischen 2015 und 2020 marktreif sind. Und die dritte Generation ist noch weiter von der Marktreife entfernt. Bereits grosstechnisch nutzbar ist hingegen Biogas. Hier zersetzen Bakterien Pflanzenreste, Gülle, Klärschlamm oder einfach Müll und setzen dabei Methan frei. Dieses Methan kann man absaugen und anstelle von Erdgas zur Stromerzeugung oder zum Kochen nutzen. mic
Kommentar: Sparpotential
Dass Lobbys ob ihres Eigeninteresses das Gemeinwohl hintanstellen ist normal. Dass die Beamten im EU Agrardepartement mit einer Lobby wie dem Biospritverband gemeinsame Sache machen, ist es hingegen nicht. Und wenn sie wissenschaftliche Studien verfälschen, damit sie besser zur gewünschten Politik passen, dann ist das wohl schon kriminell. Aber vom EU Agrarressort ist vielleicht nichts anderes zu erwarten. Denn dies sind die Leute, die seit Jahrzehnten mit ihrer Subventionspolitik die Absatzmärkte für Bauern aus der dritten Welt kaputt machen. Begründet wird diese Politik mit den positiven externen Effekten der Landwirtschaft, etwa der Landschaftspflege. Gleichzeitig unterlaufen sie damit aber die europäische Klima- und Entwicklungspolitik. Das sind auch externe Effekte, allerdings negative. Und so drängt sich der Verdacht auf, dass es dem EU Agrarressort nur um eines geht: ihrer Klientel, den europäischen Subventionsbauern weitere Milliarden in den Rachen zu werfen. Und mit dieser eindimensionalen Zielsetzung sind sie erfolgreich: Europa gab letztes Jahr sagenhafte 50 Milliarden Euro für Agrarsubventionen aus, mit dem Ergebnis, dass wir den ärmsten der Welt das Leben schwer machen und das Klima schädigen. Schade, dass sich kaum ein Politiker traut, auf dieses Sparpotential hinzuweisen. mic
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