Desertec könnte für Europa strategische Bedeutung erlangen
“Um unsere Interessen zu schützen und unsere Werte zu verbreiten, müssen wir uns im Ausland engagieren. Niemand kann auf eine Insel der Stabilität und des Wohlstands hoffen, in einem Meer aus Unsicherheit und Ungerechtigkeit.“ Mit diesen Worten hat Catherine Ashton, die neue EU „Aussenministerin“, letzte Woche vor dem EU Parlament erklärt, warum Europa eine starke Aussenpolitik braucht. Und dazu gehört auch eine gemeinsame Energie-Aussenpolitik. Wer hier allerdings nur an die europäische Abhängigkeit von russischem Erdgas denkt, übersieht die für Europas Sicherheit wohl relevantere Region, die südlichen Mittelmeeranrainer in Nordafrika und im Nahen Osten. Auch kann es in Zeiten des Klimawandels bei der EU Energie-Aussenpolitik nicht allein um die Versorgungssicherheit Europas gehen. Ein mindestens gleichwertiges Ziel muss der klimafreundliche Umbau der Volkswirtschaften der Mittelmeeranrainer sein. Dies gilt umso mehr, als dass der Energiebedarf in diesen Ländern rasant wächst: Die Bevölkerung Nordafrikas wird sich bis 2050 im Vergleich zu 1995 auf 317 Millionen verdoppeln und diese Menschen brauchen alle Jobs, also Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig wird nicht zuletzt wegen des Klimawandels das Wasser knapp und die energieintensive Entsalzung von Meerwasser immer wichtiger. Wenn das Mittelmeer nicht zu einem „Meer aus Unsicherheit“ werden soll, muss die europäische (Energie-) Aussenpolitik daher auch auf die Versorgungssicherheit der südlichen Mittelmeeranrainer abzielen. Denn ohne eine stabile Energieversorgung werden sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die Wasserversorgung unterminiert. Und dies beeinträchtigt schliesslich Europas Sicherheit. Schon heute riskieren Tausende ihr Leben auf seeuntauglichen Booten, um über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.
Zum Glück beruht der Erfolg der europäischen Energie-Aussenpolitik gegenüber den südlichen Mittelmeeranrainern aber nicht allein auf dem diplomatischen Geschick von Ashton. Im Gegenteil: Während die EU Mittelmeerunion seit dem Gazakrieg keine nennenswerten Fortschritte zu vermelden hat, treibt derzeit die Industrie die EU Energie-Aussenpolitik in der Region voran. Die Rede ist von Desertec. Das von dem deutschen Rückversicherer Munich Re initiierte Projekt sieht vor, Nordafrika und den Nahem Osten mit einem Netz aus Windparks und solarthermischen Kraftwerken zu überziehen. Ausserdem sollen die Länder untereinander und mit Europa durch ein leistungsfähiges Stromnetz, ein Supergrid, verbunden werden. Dieses Netz soll schliesslich das Rückgrat für einen gemeinsamen Markt für erneuerbare Energien bilden. Bis 2050 sollen so ein Grossteil des Strombedarfs Nordafrikas und des Nahen Ostens, sowie 15 Prozent des europäischen Strombedarfs mit „Wüstenstrom“ gedeckt werden.
Als Desertec vor knapp einem Jahr vorgestellt wurde, erschien das Projekt vielen Kommentatoren als Vision von übereifrigen Ingenieuren, die ein bisschen zuviel Sonne abbekommen haben. Insbesondere die erforderlichen Investitionen von rund 400 Milliarden Euro hat viele verschreckt. Doch langsam kommen die verschiedenen Puzzleteile zusammen:
- Die Weltbank stellt 750 Millionen Dollar für den Bau von 11 solarthermischen Kraftwerken in Ägypten, Algerien, Jordanien, Marokko und Tunesien zur Verfügung. Das Weltbank Geld soll Investitionen von insgesamt 5,5 Milliarden Dollar auslösen.
- Besonders aggressiv treibt Marokko die Entwicklung voran. Das einzige nordafrikanische Land, das schon heute an das europäische Stromnetz angeschlossen ist, will bis 2020 neun Milliarden Dollar in erneuerbare Energien investieren. Nach Angaben des Desertec Chefs Paul van Son zeichnet sich denn auch ab, dass Marokko Standort der ersten Desertec Kraftwerke sein wird.
- Der europäische Teil des Supergrids macht ebenfalls Fortschritte: Rund um die Nord- und womöglich die Ostsee soll ein Supergrid gebaut werden, das den Windstrom zu den Verbrauchern oder zu Energiespeichern wie den Pumpspeicherkraftwerken in Norwegen transportiert.
- Und schliesslich hat Desertec seit Kurzem ein politisches Aushängeschild: Klaus Töpfer, der ehemalige deutsche Umweltminister und Chef der UN Umweltbehörde, wird für Desertec die nötigen Kontakte zu den Regierungen der Mittelmeeranrainer knüpfen. Hilfreich dürfte dabei sein, dass die EU Mittelmeerunion mittlerweile zumindest ein Büro und einen Chef hat. Von Barcelona aus wird der jordanische Diplomat Ahmed Massade versuchen dem Bündnis aus 43 Ländern Leben einzuhauchen.
Dennoch ist es noch ein langer Weg bis Desertec ein wichtiger Pfeiler der europäischen Aussen-, Energie- und Sicherheitspolitik werden kann. Kritik kommt dabei aus verschiedenen Richtungen: Einige fürchten eine Art von Energie Imperialismus. Anderen missfällt, dass Desertec von der Grossindustrie getragen wird und verlangen, dass sich Europa auf die dezentrale Energieerzeugung in Europa konzentriert. Und wieder andere befürchten, dass Europa von Stromimporten aus unsicheren Lieferländern abhängig wird. Die grössten Hürden dürften aber die Finanzierung und die Streitigkeiten zwischen den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens sein. Um die gigantischen Investitionen stemmen zu können braucht die Industrie eine Abnahmegarantie für den Wüstenstrom. Doch bislang verfügt Europa noch nicht mal über einen funktionierenden Binnenmarkt für Energie geschweige denn über die Möglichkeit eine Einspeisevergütung für erneuerbare Energien aus Drittländern zu vereinbaren. Noch schwieriger dürfte es allerdings sein, die südlichen Mittelmeeranrainer zur Zusammenarbeit zu bewegen: Auch wenn man von Israel absieht, ist hier Streit zwischen Nachbarstaaten eher die Regel denn die Ausnahme. Die europäische Industrie kann somit Desertec nicht im Alleingang umsetzen sondern ist auf politische Schützenhilfe angewiesen. Da trifft es sich gut, dass die EU „Aussenministerin“ für eine starke EU Aussenpolitik plädiert. Und dazu gehört eben auch eine gemeinsame Energie-Aussenpolitik für den Mittelmeerraum, denn Europas Sicherheit hängt nicht zuletzt von der Entwicklung dieser Region ab. Die Industrieinitiative Desertec könnte so für Europa strategische Bedeutung erlangen. mic
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