Das Rätsel von Kopenhagen

Warum China nicht wollte, dass die reichen Länder ihre Emissionen um 80 Prozent reduzieren

Die Kommentatoren sind sich weitgehend einig: Das Ergebnis von Kopenhagen ist kläglich und Schuld daran sind die Chinesen. Wen Jiabao, der chinesische Ministerpräsident, hat verhindert, dass klar bezifferte Reduktionsziele Eingang in das „Abkommen“ von Kopenhagen gefunden haben. So hat er das Ziel, dass die Welt ihre CO2 Emissionen bis 2050 um 50 Prozent reduziert, mit seinem Veto belegt. Ja, er wollte noch nicht einmal, dass sich die Industrieländer dazu verpflichten, ihren CO2 Ausstoss bis 2050 um 80 Prozent zu reduzieren. Und so beinhaltet das Abkommen überhaupt keine Zahlen zu den Emissionsreduktionen.

Die Frage ist nur: Warum haben die Chinesen alle Zahlen abgelehnt? Warum wollten sie noch nicht einmal eine Selbstverpflichtung der Industrieländer gelten lassen? Die Antwort ist einfach: Wenn man die beiden Zahlen für die globale Reduktion (minus 50 Prozent bis 2050) und für die Reduktion der Industriestaaten (minus 80 Prozent bis 2050) hat, kann man eine dritte Zahl einfach berechnen: Wie hoch die Emissionen der Entwicklungsländer im Jahr 2050 noch sein dürfen. Und diese dritte Zahl hat es in sich. Minus 50 Prozent weltweit und minus 80 Prozent in den reichen Ländern bedeutet, dass im Jahr 2050 die Pro-Kopf Emissionen in allen Ländern noch rund zwei Tonnen betragen dürfen. So weit, so fair. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass bis 2050 der Durchschnittsamerikaner immer noch doppelt soviel CO2 produzieren darf wie der Durchschnittschinese. Und genau daran stossen sich die Chinesen, denn die Industrieländer sind bereits für 80 Prozent der historischen Emissionen und somit für den Klimawandel verantwortlich. Würde Peking den 50 und 80 Prozent Zielen zustimmen, liefe das darauf hinaus, dass die Industriestaaten für ihr schlechtes Verhalten in der Vergangenheit in Zukunft belohnt werden. Doch das ist offensichtlich ungerecht und die Erfinder des Abakus konnten und wollten dem nicht zustimmen.

Doch dazu hätte es nicht kommen müssen, denn die, den Zahlen zugrundeliegende, Idee ist richtig und auch gerecht: In dem „Contraction and Convergence“ genannten Modell schrumpfen die weltweiten Emissionen, sie „kontrahieren sich“, und die Pro-Kopf Emissionen konvergieren. So ist es kein Zufall, dass im Jahr 2050 nach diesem Modell die Pro-Kopf Emissionen in Amerika und in China gleich hoch sind.

Bei den Verhandlungen in Kopenhagen haben die Industriestaaten aber nicht das Contraction and Convergence Modell zur Diskussion gestellt, sondern wollten das Ergebnis der Diskussion mit den 50 und 80 Prozent Zielen bereits vorwegnehmen. In einer offenen und ehrlichen Diskussion, hätte man nämlich über die beiden wesentlichen Stellschrauben des Modells reden müssen, sagt deren Erfinder Aubrey Meyer, der Gründer des englischen Think Tanks Global Commons Institute: Um wieviel sollen die weltweiten Emissionen schrumpfen (Contraction)? Und wann sollen die Pro-Kopf Emissionen überall gleich sein (Convergence)? Dabei ist die erste Frage schnell beantwortet: Die Klimawissenschaftler haben berechnet, dass die globalen Emissionen bis 2050 um 50 Prozent sinken müssen, wenn die Menschheit eine 50 zu 50 Chance haben will, dass sich das Klima um nicht mehr als zwei Grad erwärmt. Die zweite Frage hingegen müsste Gegenstand der Verhandlungen sein und kann nicht einfach von den Industriestaaten allein entschieden werden. Das hätte zumindest den EU Unterhändlern bewusst sein müssen, denn die EU hat sich zum Ziel gesetzt, ihre Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Und mit einer 95 prozentigen Reduktion käme man den Chinesen ein gutes Stück entgegen. Reduzieren die Industriestaaten ihre Emissionen nämlich um mehr als 80 Prozent, wird in der Atmosphäre Platz für die Emissionen der Entwicklungsländer frei. Das Problem der mangelnden Gerechtigkeit wird dadurch wenn nicht eliminiert so doch reduziert.

Aber auf diese Diskussion wollte man sich offensichtlich nicht einlassen. Im Gegenteil: Statt von einer übergeordneten Idee auszugehen, wie die verbleibende Absorptionsfähigkeit der Atmosphäre auf die verschiedenen Länder verteilt werden soll, hat man sich in Kopenhagen für den „Bottom-Up“ Ansatz entschieden. Alle Länder geben an, um wieviel sie ihre Emissionen zu reduzieren gedenken und dann hofft man, dass das Klima diese Selbstverpflichtungen honoriert, indem es sich um weniger als zwei Grad erwärmt. Statt von unten nach oben Selbstverpflichtungen zu addieren, hätte man aber auch „Top-Down“ von einer übergeordneten Idee wie Contraction and Convergence ausgehen können. Dieser Ansatz wäre mit grosser Wahrscheinlichkeit auf erbitterten Widerstand der Amerikaner gestossen, die jede Verantwortung für ihren masslosen CO2 Ausstoss in der Vergangenheit ablehnen. Trotzdem hätte man es probieren können, ja müssen. Denn solange die Industrieländer nicht anerkennen, dass es beim Klimaschutz auch um Gerechtigkeit geht, dürfte ein wirksames, multilaterales Abkommen kaum abzuschliessen sein. Ohne Klimagerechtigkeit kein Klimaschutz.

Eine animierte Darstellung des Contraction and Convergence Modells findet sich auf der Homepage des Global Commons Institutes: www.gci.org.uk.

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