Die Weltformel

Wie eine einfache Formel das Klima retten kann

Geht der Austoss an Treibhausgasen und damit die Klimaerwärmung ungehindert weiter, drohen Folgen apokalyptischen Ausmasses: Schon die aktuelle Konzentration an CO2 in der Atmosphäre kann zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 20 Meter führen und ein komplettes Abschmelzen des Eises würde einen Anstieg um 70 Meter nachsichziehen. Aus diesem Grund haben die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer beim G8 Gipfel im Juli beschlossen, dass die Klimaerwärmung auf zwei Grad begrenzt werden muss. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, müssen die weltweiten CO2 Emissionen ab 2020 sinken und bis 2050 auf nahe Null zurückgeführt werden.

Geregelt werden soll dieser Umbau der Weltwirtschaft mit einem Vertrag, dem Nachfolgeabkommen zum Kyoto Protokoll. Derzeit versuchen die 192 beteiligten Länder auszuhandeln wer, wieviel, bis wann zu den erfoderlichen Emissionsreduktionen beitragen muss. Doch „dieser Prozess führt in die Sackgasse eines ‚Klimabasars’, auf dem in langen Verhandlungsrunden um Stellen hinter dem Komma gefeilscht wird, während die globale Erwärmung aus dem Ruder läuft“ schreibt ein Expertengremium der deutschen Regierung in einem Sondergutachten zu den Klimaverhandlungen (siehe Kasten). Und in der Tat erinnern die Verhandlungen an die Doha Runde der Welthandelsorganisation WTO, die seit acht Jahren erfolglos an einem neuen Abkommen arbeitet.

Vor diesem Hintergrund schlagen die Autoren des Sondergutachtens „Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz“ die Einführung eines globalen CO2 Budgets vor. Damit das Zwei-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Drittel eingehalten werden kann, dürfen demnach bis zum Jahr 2050 noch maximal 750 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt werden. Dieses Budget wird nun anhand einer einfachen Formel auf die verschiedenen Länder verteilt – die Weltformel. Aufgrund einfacher Gerechtigkeitsüberlegungen kommt dabei nur eine Bemessungsgrundlage in Frage: Die Pro-Kopf Zuteilung des globalen Budgets. Jeder Mensch hat so das gleiche Recht die Atmosphäre zu belasten. Statt also für jedes Land einzeln Emissionsziele auszuhandeln, wird den Ländern gemäss ihrer Bevölkerung ein Emissionsbudget zugeteilt. Das Verfahren ist gerecht, transparent und rational.

Diese Art der Zuteilung führt ausserdem zu einer „radikalen Vereinfachung der Klimaverhandlungen“, denn die 192 Länder müssen sich nur noch auf vier Stellschrauben einigen: Die genaue Höhe des globalen CO2 Budgets, das Anfangs- und Endjahr der Budgetperiode, sowie den Stichtag für die Bevölkerung. Die Autoren stellen zwei mögliche Optionen vor:

  • Option „Historische Verantwortung“
    Hier beginnt die Budgetperiode im Jahr 1990 und endet im Jahr 2050. Bei der Berechnung der Höhe des Globalbudgets gehen die Autoren davon aus, dass das Zwei-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent eingehalten werden soll. Über die gesamte Budgetperiode dürfen so 1100 Milliarden Tonnen CO2 emittiert werden. Da in den Jahren 1990 bis 2009 bereits 500 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelangt sind, verbleiben der Menschheit nur noch 600 Milliarden Tonnen. Nimmt man als Stichtag für die Bevölkerung ebenfalls das Jahr 1990 kommt man zu folgenden Ergebnissen: Die USA, Deutschland und andere Industrieländer hätten ihr Budget bereits überzogen. Sie wären „CO2 insolvent“.
  • Option „Zukunftsverantwortung“
    Hier geht die Budgetperiode von 2010 bis 2050 und der Stichtag für die Weltbevölkerung ist der erste Januar 2010. Ausserdem soll das Zwei-Grad-Ziel nur noch mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent eingehalten werden. Daraus ergibt sich ein globales CO2 Budget von 750 Milliarden Tonnen. Mit dieser, für die Industrieländer günstigeren Option, reicht das deutsche CO2 Budget noch für zehn Jahre und das amerikanische noch für sechs Jahre. Anschliessend müssten beide Länder ihre Emissionen auf Null reduzieren.

Eine Reduktion der CO2 Emissionen auf Null innert weniger Jahre ist allerdings unrealistisch und zum Glück auch nicht nötig. Länder die ihr CO2 Budget aufgebraucht haben, können Entwicklungsländern mit sehr niedrigen Pro-Kopf-Emissionen überzählige Emissionsrechte abkaufen. Insgesamt lassen sich so drei Ländergruppen unterscheiden: 1. Industrieländer mit hohen Pro-Kopf Emissionen, die dringend Emissionsrechte kaufen müssen, 2. Schwellenländer wie China, die mit ihrem Budget bis 2050 einigermassen zurechtkommen sollten und 3. Entwicklungsländer mit niedrigen Pro-Kopf Emissionen, die Emissionsrechte verkaufen können. Hierzu zählt insbesondere Indien (siehe Tabelle). Durch diesen Handel mit Emissionsrechten haben die einzelnen Länder grosse Flexibilität bei der Anpassung ihrer Emissionen. Gleichzeitig haben auch Entwicklungsländer mit niedrigen Pro-Kopf Emissionen einen Anreiz ihre Emissionen zu begrenzen, da sie die nicht verbrauchten Emissionsrechte verkaufen können. Und bis ins Jahr 2050 führt der Budgetansatz zu einer Konvergenz der Emissionen auf etwa eine Tonne pro Person und Jahr (siehe Grafik).

Damit ein derartiges System funktionieren kann, bedarf es einer internationalen Organisation, die einerseits die Emissionen der Länder und andererseits den Handel mit Emissionszertifikaten kontrolliert. Die Autoren der Studie schlagen die Schaffung einer „Weltklimabank“ vor, die die Möglichkeit hat, Länder, die gegen die Regeln verstossen zu bestrafen. Ausserdem muss die Weltklimabank sicherstellen, dass die Entwicklungsländer die Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten weitgehend in den klimafreundlichen Um- beziehungsweise Aufbau ihrer Volkswirtschaften investieren. Die Summen die durch diesen Handel umgeschlagen werden sind dabei beträchtlich: Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass die Industrieländer über die gesamte Budgetperiode Emissionsrechte für 120 Milliarden Tonnen CO2 zukaufen müssen. Bei einem Preis von 10 bis 30 Euro pro Tonne ergeben sich dadurch jährliche Mittelflüsse von 30 bis 90 Milliarden Euro.

Ausserdem sollen zwei weitere Fonds geschaffen werden, die ebenfalls jährlich mit vielen Milliarden alimentiert werden müssen: Der Fonds für Anpassungsmassnahmen und der Fonds zum Schutz der Regenwälder. So rechnet die UNO für Anpassungsmassnahmen wie etwa den Bau von Deichen mit Kosten von jährlich 28 bis 67 Milliarden Dollar. Die Autoren schlagen vor die Kosten für diese beiden Fonds gemäss den historischen Emissionen auf die Länder zu verteilen. So käme das Verursacherprinzip zum Zug. Die reichen Industrieländer, die für den Grossteil der historischen Emissionen und somit für den Klimawandel verantwortlich sind, müssen für die dadurch entstandenen Schäden zahlen. Insgesamt kommen auf die Industrieländer also Kosten von 100 bis 200 Milliarden Franken pro Jahr zu. Die Autoren der Studie empfehlen daher, dass die betroffenen Länder entweder eine CO2 Steuer einführen oder ihre Zertifikate an Unternehmen versteigern, um die nötigen Mittel zu generieren.

Billig ist der Plan also nicht. Aber mit dem Klimawandel hat sich die Menschheit ein Problem geschaffen, das nicht nur historisch ohne Beispiel ist, sondern auch von globalem Ausmass. Für die Autoren ist daher klar: „Die Herausforderung Klimawandel ist mit dem überkommenen Muster internationaler Politik nicht zu lösen.“ Sie forden daher eine „Kooperationsrevolution“ und setzen dem globalen Problem Klimawandel eine ebenso globale Lösung gegenüber, die sicherstellt, dass sich die verschiedenen Länder gemäss ihrer Leistungsfähigkeit an der Bewältigung der gemeinsamen Aufgabe beteiligen: „Es entsteht ein globaler Referenzrahmen für den Emissionshandel sowie für Technologie- und Finanztransfers. Der Budgetansatz weist damit über die Klimaverhandlungen in Kopenhagen hinaus und skizziert die zukünftige Entwicklung einer klimaverträglichen Weltökonomie.“ Die Weltformel. mic

Die neun Grundsatzentscheidungen

Um die Klimaverhandlungen in Kopenhagen zu vereinfachen, empfiehlt ein deutsches Expertengremium von einem globalen CO2 Budget auszugehen (siehe Artikel). Um das Konzept umzusetzen müssen die Länder der Welt neun Grundsatzentscheidungen treffen:

  1. Zwei-Grad-Ziel: Das Ziel, die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen wird völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben.
  2. Globalbudget: Für CO2, das wichtigste Treibhausgas, wird ein globales Emissionsbudget vereinbart. Das Budget gilt allerdings nur für CO2 Emissionen aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen wie Öl, Gas oder Kohle.
  3. Meilensteine: 1. Die weltweiten CO2 Emissionen beginnen spätestens im Jahr 2020 zu sinken. 2. Bis ins Jahr 2050 werden die globalen Emissionen auf ein langfristig nachhaltiges Niveau reduziert.
  4. Pro-Kopf Zuteilung: Das globale CO2 Budget wird gemäss der Bevölkerungszahl auf die Länder verteilt. Diese nationalen CO2 Budgets werden verbindlich festgeschrieben.
  5. Nationale Fahrpläne: Alle Länder müssen Fahrpläne vorlegen, die aufzeigen wie sie ihre Emissionen bis ins Jahr 2050 zu reduzieren gedenken.
  6. Zwischenziele: Zusätzlich müssen sich die Länder mit hohen Pro-Kopf Emissionen, meist Industrieländer, auf Reduktionsziele für das Jahr 2020 verpflichten. So soll eine Verschleppung der Emissionsreduktionen vermieden werden.
  7. Handel von Emissionsrechten: Die nationalen CO2 Budgets werden den Ländern in Form von handelbaren Emissionsrechten zugeteilt. Auch müssen sich die Industrieländer zu zusätzlichen Finanz- und Technologietransfers verpflichten.
  8. Weltklimabank: Die Länder der Welt richten eine gemeinsame Weltklimabank ein, die die Einhaltung der nationalen Emissionsbudgets überwacht. Ausserdem ist die Bank für die Fonds zur Finanzierung von Anpassungsmassnahmen und zum Schutz der Regenwälder verantwortlich.
  9. Regenwälder und andere Treibhausgase: CO2 Emissionen, die durch die Rodung der Regenwälder entstehen sind nicht im globalen CO2 Budget enthalten. Für diese wird ein separater, völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen und die Finanzierung der Massnahmen zum Schutz der Wälder wird aus einem separaten Fonds bestritten.
    Für fluorierte Treibhausgase wird ein separates Abkommen nach dem Vorbild des Montreal-Protokolls zum Schutz der Ozonschicht abgeschlossen.
    Kurzlebige, klimawirksame Stoffe wie etwa Russpartikel oder ozonbildende Gase werden über gesonderte Reduktionsverpflichtungen im Rahmen nationaler Luftreinhalteverordnungen reguliert. mic

Die Erfinder der Weltformel

Der „Kassensturz für den Weltklimavertrag – Der Budgetansatz“ ist ein Bericht, der zuhanden der deutschen Regierung erstellt wurde. Verfasst wurde das Gutachten von einem regierungseigenen Think Tank, dem „Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ kurz WBGU. Vorsitzender dieses Gremiums ist der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Prof. Hans Joachim Schellnhuber. Der WBGU hat auch ein Mitglied aus der Schweiz: die Direktorin des Institus für Umweltentscheidungen der ETH Zürich, Prof. Renate Schubert.

Der WBGU hat bereits früher Gutachten erstellt, die die deutsche Klimapolitik massgeblich beeinflusst haben. Dazu zählt das Drehbuch für den G8 „Klimagipfel“ in Heiligendamm im Jahr 2007 und die EU-Ratspräsidentschaft der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel im gleichen Jahr. mic

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