Für den Copenhagen Consensus ist Ernährung prioritär
Ökonomen bewerten Vorschläge zur Verbesserung der Welt. Die Gratis-Abgabe von Vitamin A überzeugt sie am meisten.
Politiker wollen wiedergewählt werden. Sie richten ihre Prioritäten also nach den Sorgen und Nöten ihrer Wähler aus. In den reichen Industrieländern stehen der Klimawandel und Terrorismus daher ganz oben auf der Agenda, während Hungersnöte, Malaria und Bürgerkrieg als weniger dringlich erachtet werden. So konnte es passieren, dass gigantische Subventionsprogramme aufgelegt wurden, um Nahrungsmittel in Biosprit umzuwandeln. Und in Haiti backen die Menschen Kekse aus Lehm. Da ist offensichtlich bei der Prioritätensetzung etwas falsch gelaufen. Genau hier setzt der Copenhagen Consensus an: Er versucht die Prioritätensetzung zu verbessern. Die Ausgangsfrage lautet: Was könnte man mit 75 Milliarden Franken machen? Zur Auswahl stehen Lösungsansätze für die grossen Probleme der Welt: Hunger, Krankheit, Armut, Krieg, Terrorismus, Bildung und Klimawandel. Das Problem ist nun, dass 75 Milliarden zwar viel Geld sind, aber niemals ausreichen, um alle Probleme gleichzeitig zu lösen. Prioritäten sind also gefragt.
Um die verschiedenen Ansätze miteinander vergleichen zu können, haben Wissenschaftler Kosten und Nutzen der Ansätze berechnet (siehe Artikel rechts). «Wir versehen die Speisekarte mit Preisen. Das heisst nicht, dass man dann das billigste Gericht nehmen muss. Aber wir wollen wissen, was die einzelnen Gerichte kosten», sagt Björn Lomborg, Gründer des Copenhagen Consensus Center. Anschliessend wählt ein Expertenpanel mit fünf Nobelpreisträgern die erfolgversprechendsten Ansätze aus.
Diese Vorgehensweise bringt durchaus kontroverse Resultate: Ansätze zur Reduktion von Treibhausgasemissionen sind auf den letzten Plätzen gelandet. Ganz oben steht die kostenlose Abgabe von Vitamin A und anderen Spurenelementen an Kinder in Schwarzafrika und Südasien. Diese Massnahme ist billig und effizient (siehe Artikel rechts). Bei den Ansätzen zur Abschwächung des Klimawandels ist für die Experten das Gegenteil der Fall: Sie sind extrem teuer und der mögliche Nutzen liegt weit in der Zukunft. Umweltschützer kritisieren, Lomborg und das Consensus Panel unterschätzten die Auswirkungen des Klimawandels auf die Artenvielfalt und die Kosten durch den steigenden Meeresspiegel.
Auf dem zweiten Platz liegt der Abschluss der Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO). Natürlich kann man einen solchen Abschluss nicht kaufen, auch nicht für 75 Milliarden. Eine weitere Liberalisierung des Welthandels hat aber mit Abstand das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis. Für jeden Franken Anpassungskosten erhält man 269 bis 1121 Franken zurück. Jeder Politiker hat andere Prioritäten. Der Consensus ermutigt sie, dabei die Welt nicht zu vergessen. Und vielleicht finden sich auch noch 75 Milliarden. mic
Wie vergleicht man Bildung und Terror?
Kosten und Nutzen werden bewertet
Der Copenhagen Consensus versucht Lösungen für die dringlichsten Probleme der Welt miteinander zu vergleichen. Die Frage lautet: Welche Massnahme bringt den grössten Ertrag je investiertem Franken (Return on Investment, kurz ROI)? Für alle Lösungen müssen also Kosten und Erträge finanziell bewertet werden. Bei den Kosten ist das meist kein Problem. So kostet die Versorgung von einer Person mit Vitamin A und Zink pro Jahr 1.20 Franken. Ein Programm um 80 Prozent der Kinder in Schwarzafrika und Südasien zu versorgen, kostet 60 Millionen Franken. Schwieriger wird es bei den Erträgen.
Im Durchschnitt der Jahre 1968 bis 2006 starben 420 Menschen infolge von transnationalen Terroranschlägen. 1249 wurden verletzt. Seit dem 11. September werden jedes Jahr 70 Milliarden Dollar zusätzlich in Anti-Terror-Massnahmen investiert. Die Zahl der Anschläge reduzierte sich seither um 34 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der Toten um 67 und die Zahl der Verletzten sank um 120. Was aber ist ein Terroropfer «wert»? Der Massstab sind die verlorenen Lebensjahre. Ein wegen Tod oder Behinderung verlorenes Jahr wird mit 5000 Franken bewertet. Die Terroropfer entsprechen so einem Verlust von 70 Millionen Franken. Dazu kommen die Kosten für die Behandlung der Verletzten und die Sachschäden.
28 Prozent der Kinder in Schwarzafrika und Südasien sind mangelernährt. Dies beeinträchtigt ihre schulische Leistung. Als Erwachsene werden sie weniger gut bezahlte Arbeit bekommen. Eine Studie aus Guatemala zeigt, dass Männer, die an einem Vitamin-Abgabeprogramm teilgenommen haben, heute zwischen 14 und 28 Prozent mehr verdienen als andere. Ausserdem reduzieren sich die Gesundheitskosten. Somit lautet die Rechnung der Kopenhagener Ökonomen wie folgt: Eine Investition von einem Franken in den Kampf gegen den Terror bringt einen Ertrag von zehn Rappen. 90 Rappen sind verloren. Die kostenlose Abgabe von Vitamin A und Zink ist hingegen hochprofitabel: Für jeden investierten Franken erhält man 17 Franken zurück. mic
Aus der Basler Zeitung vom 31.05.2008