Das viele Geld versperrt den Blick aufs Ganze

Die Gesellschaft nimmt sich der Weltgesundheit an und spendiert Milliarden. Aber es mangelt an Koordination

Die Investitionen in den Kampf gegen die Geisseln der Menschheit wie Malaria, Aids oder Tuberkulose sind in den letzten zehn Jahren explodiert. Nun müssen die Initiativen nur noch besser koordiniert werden. Geld allein reicht nicht.

Lange war er der reichste Mann der Welt. Heute ist ein grosser Teil seines Vermögens im Besitz einer Stiftung, der Bill und Melinda Gates Foundation. Eines der Ziele ist die Förderung der Weltgesundheit. Mit der Finanzkraft von Gates kann nicht einmal die Weltgesundheitsorganisation WHO mithalten. «Alle haben begonnen zu träumen», erinnert sich der ehemalige Chef des Aids-Programms der WHO, Jim Yong Kim. Die Gates-Stiftung hatte gerade 750 Millionen Dollar für eine weltweite Initiative zur Entwicklung von Impfstoffen lockergemacht. Die Erfolge der WHO waren zu dieser Zeit bereits nahezu vergessen. In den 70er-Jahren hatte die Unterorganisation der UNO die Pocken ausgerottet und mit Sprühflugzeugen die Malariamücken zurückgedrängt. Doch dann erlahmte der Elan der Staatengemeinschaft. Erst mit dem Aufkommen von Aids stand wieder mehr Geld für weltweite Gesundheitskampagnen zur Verfügung. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Im Jahr 2002 wird der Global Fund gegen Aids, Tuberkulose und Malaria gegründet, der mittlerweile über sieben Milliarden Dollar ausgeschüttet hat. Ein Jahr später ruft der amerikanische Präsident eine Initiative gegen Aids ins Leben, der in fünf Jahren 15 Milliarden Dollar zur Verfügung stehen. Dann folgten eine präsidentielle Initiative gegen Malaria, Initiativen der Pharmaindustrie, Programme der Weltbank und so fort.

Allen diesen Initiativen gemein ist der vertikale Ansatz: Sie konzentrieren sich auf einzelne Krankheiten und versuchen, diese auszurotten. Das Gegenstück ist der horizontale Ansatz, wo versucht wird, die Gesundheitsversorgung flächendeckend für die gesamte Bevölkerung zu verbessern.

Der vertikale Ansatz hat grosse Erfolge gezeitigt: Paradebeispiele sind die Ausrottung der Pocken und die von den Rotariern initiierte Impfkampagne gegen die Kinderlähmung. Der Impfstoff muss in einer geschlossenen Kühlkette bis in die hintersten Winkel der Erde gebracht werden, wo dann alle Kinder in einem bestimmten Alter geimpft werden. In Afghanistan haben Taliban und Nordallianz jeweils einen zweitägigen Waffenstillstand vereinbart, damit die Poliokampagne ungestört von Kampfhandlungen durchgeführt werden konnte. Die beteiligten Organisationen haben den Ablauf derartiger Aktionen im Griff, und so bietet es sich an, die bestehende Logistik für weitere Impfaktionen zu nutzen. Der vertikale Ansatz hat aber auch Nachteile. Für das lokale Gesundheitssystem fallen höchstens ein paar Eisschränke ab. «Alle suchen nach der Wunderwaffe gegen Aids oder Tuberkulose, aber nur wenige interessieren sich dafür, wie diese grossartigen neuen Medikamente dann zu den betroffenen Menschen gelangen», klagt Professor Marcel Tanner, der Leiter des Schweizerischen Tropeninstituts in Basel. «Wir brauchen vorab funktionierende Gesundheitssysteme, wo die Menschen behandelt werden und die sich auch um schwangere Frauen, Geburten, Kleinkinder und natürlich um Gesundheitserziehung kümmern.» Hier haben die vom Westen finanzierten vertikalen Programme oftmals eine kontraproduktive Wirkung. Da Krankenschwestern und Ärzte in den internationalen Aids-Programmen besser verdienen als im lokalen Gesundheitswesen, bluten diese personell aus. So haben Aids-Programme in Haiti oder Ghana zwar die Situation der Aidspatienten verbessert, allerdings auf Kosten aller anderen Indikatoren – von der Kindersterblichkeit bis zur Lebenserwartung. «Die vielen vertikalen und zu wenig aufeinander abgestimmten Programme sind ein Riesenproblem», sagt Tanner.

Ein weiteres Problem ist der Mangel an Koordination zwischen den verschiedenen Organisationen. «Früher waren Regierungen und die UNO für die Weltgesundheit verantwortlich. Heute haben wir eine Vielzahl von privaten Akteuren, die ausserhalb der staatlichen Entwicklungsprogramme agieren», erklärt Gretta Fenner, Direktorin des Basel Institute on Governance. «Dadurch können Doppelspurigkeiten entstehen, und Möglichkeiten zur Stärkung des lokalen, staatlichen Gesundheitswesens werden verpasst. »

Um die Koordination zwischen den Organisationen zu verbessern, hat das Institut gestern und vorgestern in Basel eine internationale Konferenz organisiert. «Wir hoffen, damit einen Prozess anzustossen, in dem sich die privaten Akteure selbst zu mehr Koordination und Transparenz verpflichten.» Vorbild ist die – ebenfalls von ihrem Institut angeregte – Selbstverpflichtung der Banken gegen Geldwäscherei.

«Es hat ein neues Denken Einzug gehalten», beschreibt Marcel Tanner vom Tropeninstitut die Entwicklung der letzten zehn Jahre im Kampf gegen die Seuchen. «Heute werden Gesundheitsausgaben als Investition in die Zukunft verstanden. Früher waren es einfach Kosten. » Für Fenner stehen derweil die neuen, privaten Akteure im Vordergrund: «Viele Themen können nicht mehr auf nationaler Ebene gelöst werden. Privatpersonen, Interessengruppen und Stiftungen, also die Weltzivilgesellschaft, haben das verstanden und engagieren sich mit Macht für die Lösung der globalen Probleme. »

Und trotzdem bleibt die Sicherstellung einer angemessenen Gesundheitsversorgung für alle Menschen auf dieser Welt eine phänomenale Herausforderung. Aber wer soll diese Herausforderung annehmen, wenn nicht die ganze Gesellschaft. Und wann, wenn nicht jetzt? mic

Basler kämpfen an vorderster Front für Weltgesundheit

Während der Beitrag der Schweiz zur Verbesserung der Weltgesundheit eher bescheiden ist, sind zwei Basler Institutionen an vorderster Front dabei: das Schweizerische Tropeninstitut und Novartis. Das Tropeninstitut fungiert als Schweizer Zentrum für Weltgesundheit. Und Novartis betreibt zwei Forschungszentren, eines für die Entwicklung von Medikamenten gegen Tuberkulose, Denguefieber und Malaria, und eines zur Entwicklung von Impfstoffen. Die Firma hat auch das derzeit beste Malariamedikament im Sortiment, Coartem, das zum Selbstkostenpreis an über 60 Millionen Menschen abgegeben wird. Bis heute haben ausserdem 4,5 Millionen Leprapatienten von Novartis kostenlosem Kombipräparat profitiert. Der Konzern lässt sich sein Engagement jedes Jahr über 20 Millionen Franken kosten. Das Tropeninstitut und Novartis arbeiten eng mit der WHO, der Gates Stiftung und dem Global Fund zusammen. mic

Aus der Basler Zeitung vom 12.04.2008