Die Philosophie des Ballonfahrens

Bertrand Piccard spricht über den totalen Kontrollverlust

Bertrand Piccard, der Schweizer Rekordballonfahrer, erklärt, warum es besser ist, die Kontrolle über sich als über die Situation zu haben.

«Glück ist Rückenwind» besagt ein chinesisches Sprichwort und keiner könnte dem eher beipflichten als Bertrand Piccard, der als Erster die Welt mit einem Ballon umrundet hat. Fesselballons haben keine Motoren. Sie werden allein vom Wind getrieben. Die einzige Entscheidung des Ballonfahrers ist die Flughöhe. Er muss eine Höhe finden, in der der Wind in die gewünschte Richtung weht. Für Bertrand Piccard war diese Beobachtung eine Offenbarung. Bevor er mit dem Ballonfahren begonnen hatte, flog er Ultraleichtflugzeuge und versuchte mit Motorenkraft die Natur zu überwinden. Die Kontrolle über die Maschine garantierte ihm Kontrolle über die Situation und letzlich über die Naturgewalten. Ballonfahren hingegen sei totaler Kontrollverlust, erklärte Bertrand Piccard anlässlich einer Veranstaltung der Headhuntingagentur HCCM.

Der Mensch suche immerzu nach Sicherheit, Kontrolle über sein Leben und sein Umfeld. Dieser Versuch sei aber zum Scheitern verurteilt und gefährlich, glaubt Piccard. Viele Situationen liessen sich nicht beherrschen. Folglich sei es besser, sich der Situation anzupassen. Beim Ballonfahren tue man dies durch Anpassen der Flughöhe. Möchte man steigen, müsse man Ballast abwerfen. Dieser Ballast sei nichts anderes als eingefahrene Verhaltensmuster, unreflektierte Annahmen, Vorurteile, Dogmen – all die Dinge, an denen wir uns festhielten, im Glauben, sie gäben uns Sicherheit. Statt aber dieser trügerischen Sicherheit nachzujagen und zu versuchen, die Situation zu kontrollieren, sei es besser, die Kontrolle über sich anzustreben. Kontrolle über sich setze die Bereitschaft voraus, sich zu hinterfragen und zu verändern. Wer sich immer erfolgreich der Situation anpassen wolle, müsse also immer wieder Ballast abwerfen.

Der Moment der Wahrheit komme in der Krise, glaubt Betrand Piccard. Das Wort «Krise» kommt aus dem Altgriechischen und bezeichnet die mit einem Wendepunkt verbundene Entscheidungssituation.

In einer Krise bestünden drei Möglichkeiten, erläutert der Ballonfahrer. Wir könnten uns mit der neuen Situation abfinden oder versuchen, dagegen anzukämpfen oder die Krise zu nutzen. Letzteres setze die Bereitschaft voraus, sich auf Neues einzulassen, eine gewisse Abenteuerlust. Für Bertrand Piccard ist ein Abenteuer denn auch nichts anderes als eine Krise, die wir als Chance nutzen. Wer das Glück des Rückenwinds sucht, wird immer wieder vom Winde verweht und muss offen für Abenteuer sein. mic

Aus der Basler Zeitung vom 29.04.2007