Die Henne-Ei-Fragen beim Klima

„Advanced Market Commitments“ sind kaum bekannt aber wirkungsvoll

Was haben Impfstoffe mit grünem Stahl zu tun? Bei beidem braucht es einen Anreiz, damit die Industrie in deren Entwicklung und den Hochlauf der Produktion investiert. Dieser Anreiz kommt meist vom Staat, aber nicht immer.

Was war zuerst die Henne oder das Ei? Diese Frage stellt sich auch bei Technologien für den Klimaschutz. So waren in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts Solar- und Windkraftanlagen noch sehr teuer. Aus diesem Grund hat kaum jemand diese Anlagen gekauft, sodass die Hersteller nicht in größere Werke investiert haben, wodurch die Kosten gesunken wären. Dieses Problem wurde schließlich von Deutschland, Dänemark und Spanien gelöst. Diese Länder gewährten Investoren anfangs sehr hohe Einspeisevergütungen, sodass sich Investitionen in Solaranlagen und Windräder trotz der hohen Anschaffungskosten lohnten. Dank der gestiegenen Nachfrage weiteten die Hersteller dann ihre Produktion aus und konnten spektakuläre Kostensenkungen erzielen. Heute ist Strom aus Sonne und Wind 90 Prozent respektive 60 Prozent billiger als noch im Jahr 2010. [1]

Die Henne-Ei-Frage stellt sich auch bei der technischen CO2-Entnahme aus der Luft. Das ist technisch möglich, indem Luft durch einen Filter geblasen wird, der das CO2 bindet. Ist der Filter gesättigt, wird dieser erhitzt und gibt das CO2 wieder frei. Dieses konzentrierte CO2 kann man dann unterirdisch verpressen – eine Technik, die unter dem Namen DACCS bekannt ist (von DA für „Direct Air Capture und CCS für „Carbon Capture and Storage“). Dieses Verfahren, nutzt die Schweizer Firma Climeworks derzeit in Island, wo sie mit einer Versuchsanlage 4000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft filtert. [2] Die Kosten sind aber mit rund 600 Dollar pro Tonne noch viel zu hoch. [8] Und genau aus diesem Grund gibt es auch keine nennenswerte Nachfrage nach den Climeworksanlagen. Damit bleiben diese handgefertigte Unikate und somit sehr teuer.

Grüner bauen. Deutschland hat sich in Glasgow dazu verpflichtet, bei Bauprojekten der öffentlichen Hand grüne Baumaterialien zu benutzen. (Foto: Unbekannt / Wallpaper Flare)
Grüner bauen. Deutschland hat sich in Glasgow dazu verpflichtet, bei Bauprojekten der öffentlichen Hand grüne Baumaterialien zu benutzen. (Foto: Unbekannt / Wallpaper Flare)

Dieses Problem will nun ein neuer Fonds lösen: Frontier. Dieser verspricht bis 2030 für 925 Millionen Dollar CO2 zu kaufen, das sicher im Boden gespeichert wurde. [3] Hinter Frontier stecken vor allem Internetkonzerne wie der Zahlungsabwickler Stripe, Alphabet (Google), Meta (Facebook) sowie die Unternehmensberatung McKinsey. Sie schaffen so einen Markt für sicher gespeichertes CO2, das direkt aus der Atmosphäre entnommen wurde. Das ermöglicht Firmen wie Climeworks und deren Kunden zu planen, denn nun gibt es zumindest einen größeren Kunden für gespeichertes CO2. Das Modell ist als „Advanced Market Commitment“ AMC bekannt und ist letztlich die Selbstverpflichtung ein Produkt zu kaufen, das es noch nicht gibt oder dessen Preis noch unbekannt ist.

Entwickelt wurde das AMC-Modell wiederum von Regierungen. Im Jahr 2009 standen fünf Regierungen sowie die Gates Stiftung vor einem ähnlichen Henne-Ei-Problem: Pharmakonzerne investierten nicht in Impfstoffe für arme Länder, weil sie damit keinen Gewinn machen konnten. [4] Daher wurde ein Fonds geschaffen, mit dem ein Impfstoff gegen Pneumokokken subventioniert wird. Wenn Firmen diesen herstellen und zu Selbstkosten an Entwicklungsländer abgeben, bekommen sie aus dem Fonds einen garantierten Gewinn pro Impfdosis bezahlt. Damit wurde die Produktion lukrativ und mittlerweile sind in den Entwicklungsländern gleich viele Menschen gegen Pneumokokken geimpft wie in den Industriestaaten. Bis zum Jahr 2020 wurden so 700‘000 Menschenleben gerettet.

Doch zurück zur CO2-Entnahme. Auch für den DACCS-Konkurrenten BECCS gibt es mittlerweile zumindest ein nationales AMC-Programm. Bei BECCS wird Bioenergie wie Holz (BE) verbrannt und dann wird das dabei entstehende CO2 dem Rauch entzogen und unterirdisch entsorgt (CCS). Auch so wird der Atmosphäre CO2 entzogen. Um den Hochlauf dieses Verfahrens zu beschleunigen, kauft Schweden jedes Jahr für 190 Millionen Dollar CO2, das sicher im Boden gebunden ist. [5] Dass die CO2-Entnahme erforderlich ist, ist unumstritten. Der Weltklimarat IPCC schreibt in seinem neuesten Bericht: CO2-Entnahme „zum Ausgleich von schwer abbaubaren Restemissionen ist unvermeidlich, wenn Netto-Null-CO2-Emissionen erreicht werden sollen.“ [6 s. SPM C.11] Ohne lassen sich die Netto-Null-Ziele also gar nicht erreichen. Zusätzlich ist CO2-Entnahme auch eine Rückversicherung, falls sich das Klima um mehr als 1,5 Grad erwärmt und anschließend wieder unter diesen Wert gebracht werden soll.

Das AMC-Modell kann aber auch bei anderen Technologien zum Einsatz kommen wie bei grünem Stahl und Beton. Bei der UN-Klimakonferenz letztes Jahr in Glasgow haben fünf Länder darunter Deutschland angekündigt in Zukunft für die öffentliche Hand grüne Baustoffe zu kaufen. Der damalige Vizewirtschaftsminister Martin Callanan sagte damals: „Um den Bausektor zu dekarbonisieren, müssen wir neue Nachfrage nach kohlenstoffarmen Materialien schaffen, was die Dekarbonisierung der gesamten Lieferkette gewährleistet. “ [7] Und genau darauf scheint die Industrie gewartet zu haben: „Ein umweltfreundliches öffentliches Beschaffungswesen stärkt den Business Case für mehr Investitionen in Technologien der nächsten Generation“, sagte damals Jan Jenisch der Chef des Schweizer Zementkonzerns Holcim. Zumindest bei Technologien ist die Henne-Ei-Frage damit geklärt: Zuerst kam ein (meist staatlicher) Anreiz.

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[1] Irena, Stand 20.04.2022: Costs

[2] Climeworks, Stand 20.04.2022: Direct air capture: a technology to remove CO2

[3] Frontier, April 2022: An advance market commitment to accelerate carbon removal

[4] NBER, 04.04.2020: Price Guarantee Spurred Vaccine Development for Poor Nations

[5] Robert Höglund, 20.10.2021: Is Sweden becoming the world leader on BECCS?

[6] IPCC, April 2022: Climate Change 2022 – Mitigation of Climate Change (PDF)

[7] Unido, 09.11.2021: World’s largest steel and concrete buyers make game-changing push for greener solutions

[8] Techcrunch, 104.12.2021: A step forward for CO2 capture