Wird Bolsonaro wegen Ökozids verurteilt?

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag könnte eine Untersuchung einleiten

Dass die Brandrodungen im Amazonas unter Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro zugenommen haben, ist bekannt. Aber ist das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Genau das wird Bolsonaro vorgeworfen.

Die Anführer von zwei indigenen Stämmen in Brasilien haben beim Internationalen Strafgerichtshof ICC in Den Haag eine Beschwerde gegen den Präsidenten ihres Landes, Jair Bolsonaro, eingereicht. Nun muss das Gericht entscheiden, ob eine formelle Untersuchung eingeleitet wird. Bolsonaro werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Er zerstöre systematisch den Amazonas Regenwald, sei verantwortlich für die Ermordung von Umweltaktivisten und Indigenen und unterminiere die Behörden für den Schutz der Umwelt und der Indigenen. „Die Situation ist das direkte Resultat der Politik von Jair Bolsonaro“, besagt die Beschwerdeschrift. [1] Dieser wolle „alle Barrieren gegen die Plünderung der Schätze des Amazonas aufheben“.

Zufall? Dass Bolsonaro keine Verantwortung für die Verschlechterung der Situation im Amazonas hat, ist eher unwahrscheinlich. (Foto: pixundfertig / pixabay)

Für die verschiedenen Vorwürfe lassen sich unschwer Indizien finden: Seit Bolsonaro im Jahr 2019 das Präsidentenamt übernommen hat, ist die Entwaldung um die Hälfte gestiegen und ist jetzt auf dem höchsten Niveau seit 2008. Die Verletzung von Schutzgebieten für Indigene ist vorletztes Jahr um 135 Prozent gestiegen und mindestens 18 Menschen wurden ermordet. Gleichzeitig sind die Strafen für Umweltverbrechen im Jahr 2019 um zwei Fünftel gefallen. [2] Außerdem wurde die Verantwortung für die indigenen Schutzgebiete auf das Landwirtschaftsministerium übertragen und das Umweltministerium erhält dieses Jahr weniger Geld als in den letzten 21 Jahren: In dieser Zeit lag das Budget nie unter 450 Millionen Euro, doch dieses Jahr beträgt es 260 Millionen. [3] „Es ist beängstigend zu sehen, dass es einen koordinierten Angriff gegen das Klima, den Wald und seine Menschen gibt“, sagte Marcio Astrini, der Chef der brasilianischen Umweltorganisation Observatório do Clima. [2]

Die Beschwerde gegen Bolsonaro wurde von dem wohl bekanntesten Menschenrechtsanwalt Frankreichs, William Bourdon, eingereicht. Dieser hofft einen Präzedenzfall schaffen zu können: Er will, dass der ICC Bolsonaro wegen „Ökozids“ schuldig spricht. Dieser Tatbestand ist im Rom-Statut, auf dem der ICC beruht, eigentlich nicht vorgesehen. Das Statut benennt vier „Verbrechen gegen den Frieden“: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das „Verbrechen der Aggression“. Bei den Verhandlungen über das Rom-Statut stand Ökozid lange als fünftes Verbrechen gegen den Frieden im Verhandlungstext. Doch dann verschwand es „unter mysteriösen Umständen“ aus dem Text, wie ein Bericht der britischen Organisation Human Rights Consortium schreibt. [4] Schwere Umweltverbrechen werden jetzt nur noch im Rahmen von Kriegsverbrechen nicht aber von Verbrechen gegen die Menschlichkeit erwähnt.

Die Schwelle für Bourdon liegt daher hoch, wenn er sagt: „Ökozid dieser Intensität muss als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden.“ [5] Ganz unmöglich ist es aber nicht, dass Bourdon Erfolg hat. Der ICC hat im Jahr 2016 anerkannt, dass er Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem weiteren Kontext sehen muss: Die Anklagebehörde des ICC „wird der Verfolgung von Straftaten nach dem Rom-Statut besondere Aufmerksamkeit widmen, die durch die Zerstörung der Umwelt begangen werden oder dazu führen.” [6] Daher ist nicht ausgeschlossen, dass das ICC jetzt diesem Vorsatz nachkommt und tatsächlich einen Präzedenzfall schafft. Wann das entschieden wird, ist allerdings unklar. Der ICC kann sich mit seiner Entscheidung, ob er eine formelle Untersuchung der Vorwürfe beginnt, beliebig lange Zeit lassen. mic

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[1] SBS, 24.01.2021: Brazil Indigenous leaders sue Jair Bolsonaro for ‘crimes against humanity’

[2] Guardian, 23.01.2021: Jair Bolsonaro could face charges in The Hague over Amazon rainforest

[3] Observatório do Clima, 22.01.2021: Brazil has lowest environmental budget in 21 years

[4] Human Rights Consortium, 2012: Ecocide is the missing 5th Crime Against Peace (PDF)

[5] HuffPost, 23.01.2021: Brazil’s Indigenous Leaders Sue President Jair Bolsonaro For Crimes Against Humanity

[6] Guardian, 15.09.2016: ICC widens remit to include environmental destruction cases