Der Verlust an Tier- und Pflanzenarten ist die grösste Gefahr für das Ökosystem der Erde
Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein riesiger Erfolg – zumindest wenn man ihn mit dem Schutz der Artenvielfalt vergleicht. Für den Klimaschutz gibt es ein von den Regierungen eingesetztes Forschergremium, das IPCC, einen verbindlichen Vertrag, das Kyoto Protokoll, Investitionen in Milliardenhöhe und viel öffentliches Interesse. Anders beim Artenschutz: Hier gibt es eine Absichtserklärung aus dem Jahr 2002 und das Eingeständnis des Schweiterns: Eigentlich hätte bis dieses Jahr der Verlust an Tier- und Pflanzenarten gestoppt oder doch merklich verlangsamt werden sollen. Aber das Ausrotten geht munter weiter, ja beschleunigt sich sogar: Mittlerweile gelten 70 Prozent der Pflanzen, 21 Prozent der Säugetiere, 12 Prozent der Vögel, 28 Prozent der Reptilien und 37 Prozent der Süsswasserfische als bedroht, sagt die Weltnaturschutzunion IUCN. Insgesamt sind von 1970 bis 2005 gemäss der Naturschutzorganisation WWF 27 Prozent der biologischen Vielfalt verloren gegangen. Der Verlust an Tier- und Pflanzenarten ist damit die grösste Gefahr für die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts auf unserem Planeten (siehe Grafik).
Quelle: grist – a beacon in the smog
Um die Bedeutung von einzelnen Arten für ein Ökosystem zu erklären, greifen Experten auf die Wirtschaftswissenschaften zurück, genauer auf den Portfolioansatz. So bietet ein breitgestreutes Anlagenportfolio einen besseren Schutz vor Verlusten als der Kauf einer einzelnen Aktie. Ähnlich ist es beim Artenschutz: Je mehr verschiedene Arten in einem Ökosystem zuhause sind, desto besser kann es mit externen Störungen umgehen. Es ist widerstandsfähiger. Aber auch beim Schutz von ganzen Ökosystemen hoffen die Wissenschaftler durch einen Rückgriff auf die Ökonomie die Verantwortlichen für die Dringlichkeit des Problems sensibilisieren zu können: Sie fordern nicht, dass Ökosysteme um ihrer selbst willen erhalten werden, sondern weil diese wertvolle Dienstleistungen bereitstellen, wie ein stabiles Klima, frisches Wasser, Nahrungsmittel, Schutz vor Überflutungen etc. Den Wert dieser Ökosystem-Dienstleistungen abzuschätzen ist schwierig und die ersten Ergebnisse sprengen das Vorstellungsvermögen: Allein durch die Abholzung der Wälder entsteht Jahr für Jahr ein Verlust von zwei bis fünf Billionen Dollar (5 000 000 000 000) oder rund 10 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, schätzt eine Studie namens The Economics of Ecosystems and Biodiversity.
Was viele geahnt haben lässt sich also auch ökonomisch untermauern: Die Menschheit lebt von der Substanz ihres Ökosystems. Doch diesen Trend umzukehren ist noch schwieriger als ihn zu messen. So ist einer der wichtigsten Faktoren für den Artenverlust der Ausstoss von CO2, der zum Klimawandel und zur Versauerung der Meere führt. Noch bedeutender aber ist das Wachstum der Weltbevölkerung, die in den nächsten 40 Jahern auf rund neun Milliarden Menschen anwachsen wird. Und diese vielen Menschen brauchen Platz, was für immer mehr Planzen und Tiere zum Verlust ihres Lebensraums führt. Wie der Trend dennoch gestoppt werden kann, soll an einer internationalen Konferenz im Oktober in Japan diskutiert werden. Dort wird voraussichtlich die Schaffung eines internationalen Wissenschaftlergremiums wie dem IPCC beschlossen, das das Problem analysieren und Politikempfehlungen entwickeln soll. Ähnlich wie das Vorbild IPCC dürfte auch die neue Organisation unter einem besonders unhandlichen Namen firmieren: Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, kurz IPBES. Aber der Schutz der Artenvielfalt hat noch eine weitere Gemeinsamkeit mit dem Klimaschutz: Letzlich geht es um Geld. Den Menschen muss ein finanzieller Anreiz geboten werden, um die Natur zu schützen. Wer der Artenvielfalt zuliebe etwa ein Ölfeld unangetastet lässt, will dafür kompensiert werden (siehe nebenstehender Artikel). Oder anders gesagt: Wenn die Menschheit weiter wie bisher von den Ökosystem-Dienstleistungen unseres Planeten profitieren will, muss sie in diese investieren, ähnlich wie sie auch in Strassen, Stromnetze und andere Infrastrukturen investiert. Sonst wächst sich ein Schlagloch schnell zum Krater aus. mic
Viel Geld für kein Öl
Nur wenn die Natur einen ökonomischen Wert erhält wird sie auch geschützt
Der Yasuni Nationalpark in Ecuador ist der vielleicht artenreichste Fleck Erde der Welt: „Yasuni liegt im Zentrum einer kleinen Zone wo Südamerikas Amphibien, Vögel, Säugetiere und Gefässpflanzen ihre grösste Vielfalt erreichen“ sagt Clinton Jenkins von der Universität Maryland. Ausserdem leben in dem angrenzenden Waorani Reservat drei indigene Kleinvölker, die Kontakt mit der Aussenwelt ablehnen. Doch weder die Artenvielfalt noch die Urvölker haben einen kommerziellen Wert, anders als die 850 Millionen Barrel Öl unter diesem Paradies: 7,2 Milliarden Dollar schätzt die ecuadorianische Regierung. Und so schien das Schicksal Yasunis besiegelt.
Doch dann, vor etwa drei Jahren, hatte der ecuadorianische Präsident Rafael Correa eine Idee: Er bot den Industriestaaten einen Deal an: Gebt mir 3,6 Milliarden Dollar und ich lasse das Öl im Boden. Anfangs hielt sich die Begeisterung unter den Industriestaaten in Grenzen. Doch nun haben Ecuador und das UN Entwicklungsprogramm UNDP einen gemeinsamen Fonds aufgelegt, aus dem Ecuador entschädigt werden soll. Und rund die Hälfte des Geldes ist auch schon da: Deutschland, Spanien, Frankreich, Schweden und die Schweiz haben ihre Beteiligung zugesagt. Das Geld soll dann in die anderen Nationalparks in Ecuador, etwa die Galapagos Inseln, und in regenerative Energien investiert werden.
Der Yasuni Fonds ist damit das grösste Beispiel für sogenannte Payments for Ecosystems Services PES, also die Bezahlung von Ökosystem-Dienstleistungen. Mit derartigen Zahlungen werden Menschen oder Länder dafür bezahlt die Natur zu schützen. Die Natur erhält dadurch einen Wert und der Einzelne einen Anreiz sie zu bewahren. Aber PES sind nicht die einzigen marktwirtschaftlichen Instrumente zum Schutz der Umwelt. Ähnlich wie beim „Ablasshandel“ für CO2 Emissionen besteht in den USA die Pflicht, Eingriffe in Sumpfgebiete andernorts durch Schutz oder Wiederherstellung von Sumpfgebieten zu kompensieren. Und damit kommen erkleckliche Summen zusammen: Im Jahr 2008 wurden mit dem US und ähnlichen Programmen 3,4 Milliarden Dollar mobilisiert. Instrumente zum Schutz der Umwelt und der Artenvielfalt existieren also. Was jetzt noch fehlt ist ein Mechanismus, um deutlich höhere Beträge einzusammeln, damit einzelne Schutzprojekte nicht mehr vom Gutdünken und der Haushaltslage einzelner Regierungen abhängen. Doch soweit ist die Welt noch nicht. mic
Die lebenserhaltenden Systeme des Planeten Erde
Es ist eine Binsenwahrheit: Das Leben auf der Erde und die Wohlfahrt des Menschen beruhen auf einer funktionierenden Umwelt. Dennoch gab es bislang keine klares Verständnis der wesentlichen lebenserhaltenden Systeme unseres Heimatplaneten. Nun haben Wissenschaftler diese Lücke geschlossen. Sie beschreiben neun Kreisläufe, die nicht allzu sehr gestört werden dürfen, wenn die Menschheit katastrophale Umweltveränderungen verhindern will. Diese neun Prozesse sind:
- Der Klimawandel
- Die Versauerung der Meere
- Das Ozonloch
- Der Stickstoff- und Phosphorkreislauf
- Der Frischwasserverbrauch
- Der Landverbrauch
- Luftverschmutzung
- Chemikalienbelastung
- Die Artenvielfalt
Bei drei Prozessen sind die Eingriffe des Menschen in die Natur bereits heute so schwerwiegend, dass irreversible Schäden entstehen. Diese drei Prozesse sind der Klimawandel, der Stickstoffkreislauf und die Artenvielfalt (siehe Grafik). Am schwersten versündigt sich der Mensch hier gegen die Artenvielfalt. Die Wissenschaftler schätzen, dass nicht mehr als 10 von je einer Million Arten pro Jahr ausgerottet werden dürfen. Die aktuelle Rate ist aber zehnmal höher und es besteht die Gefahr, dass Ökosysteme Kipppunkte erreichen, wo plötzliche und schwerwiegende Änderungen eintreten. mic
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