Der Seeotter und das Klima

Einige Tierarten haben grossen Einfluss auf den CO2-Kreislauf in ihrem Umfeld

Wenn in einem Ökosystem Raub- und andere Grosstiere fehlen, dann profitieren davon andere Arten etwa Pflanzenfresser. Dadurch kann die Fähigkeit des Ökosystems, CO2 zu binden, deutlich reduziert werden. Die Artenvielfalt wird folglich nicht nur durch den Klimawandel gefährdet, sondern entscheidet auch darüber wie schnell dieser fortschreitet.

Seeotter haben das dichteste und feinste Fell aller Pelztiere. Das wäre ihnen fast zum Verhängnis geworden. Vor hundert Jahren war das possierliche Raubtier fast ausgerottet. 1911 wurde dann der Handel mit Seeotterfellen verboten. Seither haben sich die Bestände wieder auf über 100‘000 Tiere erholt. Neben den Seeottern selbst profitieren davon die Tourismusindustrie an der US-Westküste und das Klima. Denn Seeotter verzehren in grossen Mengen pflanzenfressende Seeigel. Damit schützen sie die Tangwälder (auch Kelp- oder Algenwäder genannt), die grosse Mengen Kohlenstoff binden – zwischen vier und sechs Millionen Tonnen CO2 pro Jahr oder rund zehn Prozent der Schweizer Emissionen. Beim aktuellen CO2 Preis von sechs Euro pro Tonne haben die Otter damit einen ‚finanziellen Nutzen‘ von rund 30 Millionen Euro. Oder anders: Jeder Otter ist für die Neutralisierung von 50 Tonnen CO2 pro Jahr verantwortlich und ‚erwirtschaftet‘ so 300 Euro. [1]

Geschafft. Nach schwerer Arbeit bei der Seeigelbeseitigung lässt sich dieser Seeotter von der Ebbe aufs Meer hinaus treiben. (Foto: Mike Baird / Wikimedia)
Geschafft. Nach schwerer Arbeit bei der Seeigelbeseitigung lässt sich dieser Seeotter von der Ebbe aufs Meer hinaus treiben. (Foto: Mike Baird / Wikimedia)

Der Seeotter ist aber nicht der einzige Klimaschützer im Tierreich. Klimafolgen hat auch die Jagd auf Bären und Wölfe in Kanada und Russland. Diese Raubtiere kontrollieren ebenfalls den Bestand an Pflanzenfressern. Rentiere und Elche fressen die Triebe junger Bäume. Wenn deren Population steigt, wachsen die Bäume langsamer und werfen auch weniger Nadeln ab. In diesen Nadeln ist CO2 gebunden, das im Boden gespeichert wird. Eine Zunahme der Elchdichte von 0,5 auf 1,5 Tiere pro Quadratkilometer führt dazu, dass 10 bis 25 Prozent weniger CO2 im Boden gespeichert wird. [1] Das ist dramatisch angesichts der Grösse der Taiga (auch borealer Wald) ist: Sie bedeckt 14 Millionen Quadratkilometer oder mehr als 10 Prozent der gesamten Landmasse der Erde.

In manchen Ökosystemen entscheiden aber auch die Pflanzenfresser, wieviel CO2 gebunden wird. So sind Tapire sowie Woll- und Klammeraffen im Amazonas Regenwald klimarelevant. Sie fressen Früchte mit relativ grossen Samen und tragen so zur Verbreitung dieser Fruchtbäume bei. Ohne diesen tapirbasierten Samentransport setzen sich kleinere Baumarten durch, die weniger CO2 binden. Diesen Zusammenhang zeigt eine Studie in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Science. [2] Für diese Studie haben Wissenschaftler Tapire, Affen und Bäume gezählt. Dabei hat sich gezeigt, dass selbst in ansonsten intakten Waldgebieten Tapire und Affen gejagt werden – mit schwerwiegenden Folgen: „Wir zeigen, dass Baumarten mit dichtem Holz und grossen Samen ersetzt werden durch Bäume mit kleineren Samen, die auch in überjagten Wäldern noch durch Vögel verbreitet werden.“, sagt Carlos Peres, der Leitautor der Studie. [3] Auf Dauer binden überjagte Gebiete deshalb rund 5,8 Prozent weniger CO2, als Wälder mit einem normalen Tierbestand. [2]

In Graslandschaften wie der Serengeti in Ostafrika haben ebenfalls die Pflanzenfresser die Überhand. Dort managen 1,2 Millionen Gnus den CO2 Haushalt. Aufgefallen ist dies, nachdem der Gnubestand durch Krankheiten und Wilderei auf ein Viertel gefallen war. Da grosse Flächen nicht mehr abgegrast wurden, sammelte sich dort immer mehr trockenes Gras und es kam zu riesigen Steppenbränden. Damit wurde die Serengeti plötzlich zu einer Quelle von CO2. In den letzten Jahren hat sich der Gnubestand wieder erholt und die Tiere gehen ihrer Klimapflicht nach: dem Verdauen. Sie fressen Gras und scheiden es als Gnudung wieder aus. Dieser Dung wird dann von Insekten und Mikroorganismen in den Boden eingearbeitet, wo das CO2 für lange Zeit gespeichert bleibt. [1]

Einige Arten relativ grosser Tiere haben sowohl zu Wasser als auch zu Land einen massgeblichen Einfluss auf die Fähigkeit ihrer Umwelt CO2 zu speichern. Für Oswald Schmitz von der Universität Yale muss das Wechselspiel zwischen Klimawandel und Artenschutz daher neu gedacht werden: Tierarten seien nicht nur „hilflose Opfer“ des Klimawandels oder „Passagiere auf einem Schiff, das dem Untergang geweiht ist“, sondern „wichtige Einflussfaktoren auf dem Klimaschiff“. „Dies ist fast schon ein Argument für das ‚Wiederverwildern‘ (englisch ‚rewilding‘) von Landschaften, um sicher zu stellen, dass die natürliche Balance von Raub- und Beutetieren besteht.“, sagt Schmitz. [4] Zum ‚Rewilding‘ [5] [6] gehört aber nicht nur die Wiederbesiedlung mit Raubtieren wie Wölfen und Bären sondern auch mit grossen Pflanzenfressern. So wurden im Rothaargebirge im Jahr 2013 acht Wisente in die Wildnis entlassen. [7] Diese waren vor 400 Jahren in Deutschland ausgestorben. Bernd Fuhrmann, der Bürgermeister von Bad Berleburg sagte dazu: „Dies ist ein Ereignis von historischer Bedeutung für den Artenschutz.“ [7] Schmitz hofft derweil, dass intelligenter Artenschutz „ein Schlüssel sein könnte, um das Klimaproblem zu lösen“. [1] Relativ billig wäre es obendrein und die Zustimmung der Seeotter gilt ebenfalls als gegeben. mic

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[1] e360, 25.01.2015: How ‘Natural Geoengineering’ Can Help Slow Global Warming

[2] Pnas, 10.12.2015: Dispersal limitation induces long-term biomass collapse in overhunted Amazonian forests

[3] eurekalert, 25.01.2015: Over-hunting threatens Amazonian forest carbon stocks

[4] Yale, 16.10.2013: Carbon Models Underestimate Role of Animals, Paper Says

[5] Spiegel Online, 24.10.2013: Europe Gone Wild: Back to Nature on the Continent

[6] The Guardian, 15.07.2015: 15 species that should be brought back to rewild Britain

[7] Wisent-Welt, 12.04.2013: Acht freigelassene Tiere machen den Anfang / Wisente erobern die Wälder zurück